Landkreis Harburg
Der tägliche Wahnsinn, den Busfahrer erleben

Busfahrerin Heidrun Schlee. Zum Teil müssen die Busfahrer durch eine Scheibe geschützt werden | Foto: bim
  • Busfahrerin Heidrun Schlee. Zum Teil müssen die Busfahrer durch eine Scheibe geschützt werden
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Jugendliche, die sich im Bus prügeln, Fahrgäste, die Busfahrer anpöbeln oder das Fahren ohne Fahrschein als selbstverständlich ansehen - Heidrun Schlee, seit 30 Jahren Busfahrerin und Disponentin für den Linien- und Schülerverkehr bei Becker Tours in Tostedt, ist fassungslos, wie Regeln mittlerweile missachtet werden und der Umgang verroht. "Wir haben inzwischen extreme Schwierigkeiten mit Fahrgästen, die sich nicht benehmen, auch bei der Schülerbeförderung." Und dabei spiele die Nationalität keine Rolle.
"Wir wollen nicht meckern, wir möchten nur, dass die Leute in sich gehen, und uns so behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten", betont sie. 
Die Busfahrer hätten inzwischen mehr damit zu tun, den Innenraum im Auge zu behalten, als auf die Fahrbahn zu achten", sagt Heidrun Schlee.

Vorne einsteigen und die Fahrkarte vorzeigen

Beim Busfahren gibt es eigentlich ein paar einfache Regeln zu beachten: vorne einsteigen und die Fahrkarte - in Papierform oder digital - vorzeigen. Manche Fahrgäste würden versuchen, sich durch die hintere Tür reinzumogeln, oder einfach am Fahrer vorbei in den Bus marschieren. "Ohne Fahrkarte in den Bus zu steigen, ist im Grunde vorsätzlicher Betrug", sagt Heidrun Schlee. Spreche man die Leute dann darauf an, kämen Ausreden oder auch schon mal freche Worte. Von Menschen mit Migrationshintergrund würden die Fahrer dann mitunter als "Rassisten" beschimpft. "Jeder kann mal die Fahrkarte vergessen, aber dann muss man das auch vernünftig kommunizieren", sagt Heidrun Schlee.

"So viele Menschen sind inzwischen auf Konfrontation aus, das ist unglaublich. Sogar manche Schulkinder. Die bleiben nicht sitzen, sind irre laut, vermüllen den Bus oder kabbeln sich. Da frage ich mich, was da im Elternhaus vermittelt wird", findet die Busfahrerin klare Worte. Sie und ihre Berufskollegen werden auch unflätig beschimpft. Manche Touren - wie im Fall der Prügelei von vier bis fünf Jugendlichen im Bus - werden auch unterbrochen und die Polizei hinzugezogen. "Im vergangenen Jahr mussten wir vier oder fünf Mal Anzeige bei der Polizei gegen Fahrgäste erstatten." Einmal sei zum Beispiel ein Fahrer von einem (erwachsenen) Fahrgast ohne Fahrschein mit dem Messer bedroht worden. 

Lärmende und herumlaufende Kinder

Auch als Disponentin sitzt Heidrun Schlee noch öfters hinterm Steuer. Oder sie begleitet andere Busfahrer, wenn es auf einer Tour Probleme gibt, um lärmende oder herumlaufende Kinder zu maßregeln. Sie fotografiere dann den Fahrschein und melde den Vorfall dem Landkreis als Auftraggeber. "Die Eltern bekommen daraufhin Post, dass ihr Kind verhaltensauffällig ist. Der Fahrschein kann dann sogar eingezogen werden", erläutert Heidrun Schlee. "Ich versuche, das zu vermeiden. Die KVG ist da ein bisschen konsequenter", sagt sie. Denn Becker Tours fährt u.a. im Auftrag des Landkreises und der Kraftverkehr GmbH.  

Die krassesten Fälle in jüngster Vergangenheit im Schülerverkehr: Ein Kind rannte im Bus umher. Als der Fahrer bremsen musste, stieß es sich den Ellenbogen. "Anschließend beschwerten sich die Eltern, der Busfahrer habe mit Absicht gebremst", berichtet Heidrun Schlee. Als es Anfang des Jahres an zwei Tagen glatt auf den Straßen war und die Busse mit entsprechenden Verspätungen ankamen, habe die Lehrerin einer Buchholzer Schule eine Bescheinigung vom Busunternehmen verlangt, weil ein Schüler erst zur zweiten Stunde ankam.

Ein Phänomen, das überwiegend bei Migranten vorkomme: "Viele von ihnen steigen mit dem Fahrrad in den Bus und nehmen den Platz weg, der für Kinder- und Gehwagen sowie Rollstühle vorgesehen ist, auch wenn sie nur zwei Haltestationen von zu Hause entfernt sind", berichtet Heidrun Schlee. Dabei dürfe pro Tour eigentlich nur ein Rad mitgenommen werden. "Und es gibt Sperrzeiten für die Fahrradmitnahme. Außerdem sind wir kein Fahrradtransporteur." Daher hat sie nun Schilder mit durchgestrichenen Fahrrädern auf die Busse geklebt.

Anspruchsdenken und Egoismus nehmen zu

"Die Busfahrer müssen mit der ganzen nervlichen Belastung fertig werden." Wie in vielen Berufen gebe es auch bei den Kraftfahrern einen Fachkräftemangel. Und Heidrun Schlee befürchtet, dass sich bei solchen Voraussetzungen weniger Menschen für den Beruf entscheiden. "Mir tun die Fahrer wirklich leid, weil ich sie als Disponentin in die Höhle der Löwen schicke", sagt sie. Das Anspruchsdenken und der Egoismus nehme zu. Wenn das so weitergeht, werde irgendwann niemand mehr Lust haben, einen Bus zu steuern, befürchtet Heidrun Schlee.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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