Diskussion um Anti-Corona-Maßnahmen
160 Teilnehmer bei Mahnwache pro Demokratie in Tostedt

Rund 160 Teilnehmer versammelten sich zu einer Mahnwache auf dem Platz Am Sande  | Foto: bim
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bim. Tostedt. Zu einer friedlichen "Mahnwache pro Demokratie, Wissenschaft und Solidarität" hatte für Montagabend Tostedts Bürgermeisterin Nadja Weippert in Absprache mit allen im Gemeinderat vertretenen Parteien aufgerufen. Mit Kerzen erinnerten die rund 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an die an Corona erkrankten oder verstorbenen Menschen. Dörte Ruthenberg verlas einen bewegenden Bericht ihrer 30-jährigen Tochter Nina, die als Krankenschwester in Rotenburg arbeitet, und täglich mit viel Leid konfrontiert ist.
Soziale Netzwerke als
"Brandbeschleuniger"

Nadja Weippert erinnerte daran, "dass wir in Sicherheit leben und es keine Versorgungsengpässe gibt." Problematisch in der Diskussion und die Pandemie und die Anti-Corona-Maßnahmen seien diejenigen, "die falschen Informationen aufsitzen." Die sozialen Netzwerke bezeichnete sie als "Brandbeschleuniger", die manchen helfen würden, Hass und Hetze in der Gesellschaft zu streuen - zumeist unter Pseudonymen.
Zusammenhalt
in der Krise

Mit Blick auf die in sogenannten "Spaziergängen" organisierten Gruppen, sagte sie: "Jeder Mensch darf seine Meinung frei äußern, wir leben in einem freien Land." Und: "Ich sehe keine Spaltung, sondern einen Zusammenhalt in der Krise", erklärte Nadja Weippert und erinnerte an die vielen ehrenamtlichen Initiativen, die in der Pandemie ins Leben gerufen wurden, um sich gegenseitig zu unterstützen. Sie nannte u.a. den Einkaufsservice für Risikogruppen des Jugendzentrums Tostedt.
Schweigeminute für
alle Verstorbenen

Anschließend wurde eine Schweigeminute eingelegt für alle, die einen Menschen - nicht nur wegen Corona -  verloren haben. Nadja Weippert appellierte an die Mahnwachen-Teilnehmer, Hass und Hetze entgegenzutreten. Ihr Dank galt all denen, die die Versorgung der Menschen im Land auch in der Pandemie sicherstellen. "Wir wollen Mut geben, statt Angst zu machen. Wir wissen nicht, wann die Pandemie endet, aber wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können."
"Spaziergänger" ab
Tostedter Rathaus

Parallel zur Mahnwache startete einer der sogenannten "Spaziergänge" am Tostedter Rathaus. Wie Beobachter berichten, kamen die "Spaziergänger dabei nicht nur aus Tostedt und dem Landkreis, sondern u.a. aus dem Heidekreis, aus Hamburg, Lüneburg, Celle und Oldenburg. Der NDR war mit einem Team vor Ort, ebenso die Polizei, die sowohl den "Spaziergang" als auch die Mahnwache begleitete.

Im ganzen Landkreis Harburg fanden laut Polizei zehn friedliche "Spaziergänge" mit insgesamt rund 1.100 Teilnehmern statt. Nur vereinzelt habe es Verstöße wegen einer fehlenden Mund-Nasen-Bedeckung gegeben.

Bewegende Worte einer Krankenschwester

Folgende Worte wurden verfasst von Nina, 30 Jahre, leitende Krankenschwester in Rotenburg:

"Ich bin mit Leib und Seele Krankenschwester und sehr glücklich mit meiner Berufswahl. Diese Zeilen werden weder eine berufspolitische Tirade, noch Gejammer über schlechte Arbeitsbedingungen oder Bezahlung. Ich wurde gebeten, zu erzählen, was ich unter Solidarität und Demokratie verstehe, im Kontext meines Berufes und meiner täglichen Arbeit. Wahrscheinlich werde ich auch meine Meinung zu Montagsspaziergängen und sogenannten 'Gegnern der Corona-Maßnahmen' kundtun und von ein oder zwei Schicksalen berichten.

Eine Mutter stirbt. Vergangene Woche. Viel zu jung mit 58 Jahren an einer weit vorangeschrittenen schweren Erkrankung. Sie stirbt im Beisein ihrer Mutter, die sie seit Wochen nicht ohne Mundschutz gesehen hat. Sie hat seit Wochen kein Gesicht mehr ohne Mundschutz gesehen, keine Berührung ohne Handschuhe gespürt. Ihr Sohn kam zwei Minuten, nachdem sie ihren letzten Atemzug getan hat, weil er noch einen Schnelltest gemacht hat. Die beiden anderen Kinder haben ihre Mutter auf ihrem letzten Weg nicht begleiten können, weil sie in Quarantäne sind. Eine Mutter stirbt. Nicht an Corona, sondern an einer Erkrankung, an der sie auch ohne Pandemie gestorben wäre. Aus unterschiedlichen Gründen stirbt sie unter den beschriebenen Umständen. Aus mangelnder Solidarität derer, die es als Beschneidung ihrer Freiheit verstehen, wenn sie sich impfen lassen sollen und eine Maske tragen müssen. Und derer, die montags spazieren gehen, ohne Maske, um ihren Unmut darüber kund zu tun. Weil sie sich selbst am nächsten sind. Eine Mutter stirbt. Unter den beschriebenen Umständen, weil ihre Kinder den Menschen, die ihre sterbende Mutter betreuen, gegenüber solidarisch sind, gegenüber der Gesellschaft. Sie lassen sich testen, tragen Masken und bleiben in Quarantäne.

Ich trage schon seit mehr als acht Jahren medizinische Masken beim Ausüben meines Berufes. Zum Schutz meiner Patienten, die sich in meine Hände begeben, mir vertrauen müssen. So trage ich meinen Teil zur Gesellschaft bei, zur Demokratie. Mein Gesicht dankt es mir nicht, ich leide seit mehr als acht Jahren an Akne, die zurückzuführen ist auf das Tragen medizinischer Masken. Die ich trage, weil mein ethisch-moralisches Verständnis als Krankenschwester, aber auch als Teil einer demokratischen Gesellschaft es mir vorschreibt.

Wir alle leben hier. Frei. Demokratisch und solidarisch. Regeln dienen dem Schutz der Gesellschaft, dem Schutz der Demokratie. Pflichten dienen dem Schutz der Gesellschaft, dem Schutz der Demokratie. Was bedeutet Schutz der Gesellschaft? Es bedeutet: Keinen auf dem Weg zu verlieren, keinen stehen zu lassen. Wird die Pandemie ein Ende finden? Wir wissen es nicht. Was ich weiß ist, dass es nicht leichter wird, wenn die einzigen Strohhalme, die wir haben, nicht genutzt werden.
Gemeinsam. Für die Demokratie.

Klatscht nicht für mich und zahlt mir keine Prämie. Tragt eure Masken. Lasst euch impfen. Seid solidarisch. Solidarisch mit den vielen Menschen, die jemanden an das Virus verloren haben. Die alleine sterben müssen. Die so dringend eine Berührung brauchen. Mit denen, die euch pflegen wenn ihr es braucht."

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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