SPD-Mitgliederzahlen im Sinkflug
Konnten seine Vorgänger die Krisen besser weglächeln?
Die Ampel-Regierung ist seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 im Dauer-Feuer der öffentlichen Kritik. Auch wenn die Regierung vielfach lediglich Entscheidungen umsetzt, die vor Jahren getroffen und von der jetzigen CDU/CSU-Opposition mit befürwortet wurden, oder "Altlasten" von Vorgänger-Regierungen wie zu geringe Renten, unzureichende Digitalisierung und Wohnungsnot zu tragen hat. Vorherige Staatsoberhäupter haben die Krisen vermutlich nur besser weggelächelt oder Entscheidungen besser kommuniziert. Interne Streitigkeiten zwischen Rot, Grün und Gelb tragen ebenfalls nicht zur Vertrauensbildung bei den Wählerinnen und Wählern bei. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) sah sich jetzt genötigt, die Bundesregierung aufzufordern, ihre Entscheidungen den Bürgern besser zu erklären. Vor allem die SPD hat bei den Mitgliederzahlen "Federn gelassen" - seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Olaf Scholz traten rund 30.000 Sozialdemokraten aus ihrer Partei aus. Einzig SPD-Politiker und Verteidigungsminister Boris Pistorius ist beim Politiker-Ranking seit Monaten auf Platz eins. Manche trauen ihm sogar die Kanzlerschaft eher zu als Olaf Scholz.
Wie sieht es in den Landkreisen Harburg und Stade in Sachen Mitgliederschwund aus? Das WOCHENBLATT fragte nach.
Im SPD-Unterbezirk Stade bewerten die Vorsitzenden Corinna Lange und Kai Koeser die Situation. Kai Koeser hat zunächst eine ganz pragmatische Antwort für die als hoch bezeichneten Verluste: "Wir als SPD haben viele Mitglieder, daher können wir auch mehr Mitglieder verlieren." Der Kreis-SPD in Stade gehören derzeit rund 800 Mitglieder an.
Der Realverlust an Mitgliedern zwischen 2022 und 2023 liege bei unter fünf Prozent. Der kontinuierliche Mitgliederrückgang resultiere aber auch daraus, dass nicht mehr genügend Interessierte, die sich langfristig politisch engagieren wollen, eintreten. "Wir haben aber auch eine ganze Reihe an Neueintritten von Leuten im mittleren Alter. Das freut uns sehr. Eine unserer Aufgaben bleibt es, aktive Mitglieder zu werben", sagt Corinna Lange.Eine gewisse
Fluktuation ist normal
Eine gewisse Fluktuation sei aber allein von der Altersstruktur her normal. Manche Mitglieder würden auch wegen Umzugs austreten, aus finanziellen Gründen oder weil ihre aktive Zeit vorbei sei. „Der ein oder andere Unzufriedene wird dabei sein, das ist ganz klar. Meistens werden aber keine Austrittsgründe genannt“, erklärt Koeser. Es seien gegenüber dem SPD-Unterbezirksvorstand aber keine Austritte wegen Unzufriedenheit mit der Bundespolitik begründet worden.
Es gebe eine allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung als Ergebnis der Folgen der Corona-Pandemie, der Energiekrise, der Rezession und der zwei Kriege. "Da sind die Menschen äußerst dünnhäutig. Sie wollen Stabilität und Sicherheit", weiß Corinna Lange. Gleichwohl werde diese Unzufriedenheit an der Person Olaf Scholz als Bundeskanzler festgemacht. Dies mache auch vor Parteimitgliedern nicht halt.
Mit Klimaschutz, Ausbau der Infrastruktur, Reform des Gesundheitswesens und Verbesserungen im Bildungssystem gebe es riesige Baustellen. "Wir müssen investieren. Wenn wir diese Dinge jetzt nicht angehen, bürden wir folgenden Generationen eine größere Hypothek auf", so Koeser. "Da erwarten wir eine klarere Kommunikation, um die Leute mitzunehmen, ihnen zu vermitteln, weshalb bestimmte Gesetze verabschiedet werden", sind sich Corinna Lange und Kai Koeser einig.Wegzüge und Sterbefälle
machen sich bemerkbar
Ähnlich sieht die Mitgliederentwicklung im SPD-Unterbezirk Landkreis Harburg aus. Vorsitzende Svenja Stadler: "Es sind zwar weniger Mitglieder im Unterbezirk zu verzeichnen als noch zu Beginn des vergangenen Jahres. Allerdings ist eine gewisse Bewegung in der Mitgliederzahl vollkommen normal. Einige Mitglieder ziehen weg aus dem Landkreis, andere ziehen zu. Auch Sterbefälle machen sich natürlich bemerkbar. Aber neben Austritten konnten wir gleichzeitig neue Mitglieder in der Partei willkommen heißen."
Der SPD-Unterbezirk hatte 1.113 Mitglieder bei 50 Eintritten im Jahr 2021 und aktuell 1.027 Mitglieder bei sechs Eintritten seit Dezember.
Auch hier geben Mitglieder in der Regel keinen Austrittsgrund an. "Wenn jedoch ein Austritt aus Unzufriedenheit mit der Partei geschieht, halten sich zwei Gründe die Waage: Unzufriedenheit mit der SPD in der Regierung und, wie in jedem anderen Verein auch, Schwierigkeiten mit der Partei vor Ort", so Stadler. Jedem ausscheidenden Mitglied werde ein Gespräch angeboten. "Unsere Tür steht jederzeit offen, ein Engagement für die Gesellschaft hängt nicht vom Parteibuch ab."Olaf Scholz könnte sich
öfter und besser erklären
Auch Svenja Stadler meint, dass Olaf Scholz sich sicherlich öfter und besser erklären könne. "Aber wir kennen ihn, er war immer schon so, und 2021 waren viele davon überzeugt, dass er der Richtige ist. Ich möchte daher viel mehr darauf verweisen, dass wir vor Ort in den Kommunalparlamenten und in den Ortsvereinen viele tüchtige und engagierte Mitglieder haben. Die haben die Chance und nutzen sie auch ganz oft, ganz direkt in ihrem Umfeld für die SPD und deren Philosophie zu werben. Es geht also vielmehr um die Frage: Was kann ich an der Basis tun, um Mitglieder zu gewinnen? Es ist mir zu einfach, immer auf die Parteispitze zu verweisen. Vertrauen braucht Selbstvertrauen. Und das hat die SPD grundsätzlich", betont Svenja Stadler.
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