Winsens Politik geht am Stock
thl. Winsen. Der Winsener Stadtrat leidet unter Überalterung und wird durch echte Nachwuchssorgen geplagt. Das Durchschnittsalter der 39 Abgeordneten (inklusive Bürgermeister André Wiese) liegt bei 57,5 Jahren. Altersmäßig das Küken ist FDP-Ratsherr Nino Ruschmeyer, der im Oktober seinen 34. Geburtstag feierte. Kein anderes Mitglied ist jünger als er. Dafür sind gleich zahlreiche Ratsherren und -frauen jenseits der 60 und sogar der 70 Jahre. Der "Methusalem des Rates" ist SPD-Mann Heinrich Schröder mit 74 Jahren.
Die nächste Kommunalwahl am 11. September rückt immer näher. Die spannende Frage dabei: Wer soll die Interessen der Jugend und jungen Erwachsenen vertreten, wenn die politischen Gremien eher einem Seniorenbeirat gleichen? Und: Wie soll man junge Leute für die Kommunalpolitik begeistern, wenn die Sitzungen wie ein Kaffeekränzchen im Altenheim anmuten? Hinzu kommt: Ehrenamtliche kommunalpolitische Arbeit ist zeitintensiv. Fraktionssitzungen, Ausschuss- und Ratssitzungen, Vor- und Nachbesprechungen - da kommen im Jahr einige Stunden zusammen. Da sind 100 Euro monatliche Pauschale sowie 10 Euro je Ausschusssitzung als Aufwandsentschädigung nicht gerade ein "schwerwiegendes Argument".
Ein weiteres Problem - gerade in Winsen - ist der Wohnungsmarkt. So kam es in der Vergangenheit bereits vor, dass ein junger Ratsherr sein Mandat zurückgeben musste, weil er Winsen den Rücken kehren musste. Grund: Er fand in der Luhestadt keinen für ihn bezahlbaren Wohnraum.
Das WOCHENBLATT fragte bei den Fraktionsvorsitzenden der Parteien und Gruppen nach, was sie zur Überalterung des Rates sagen und wie sie junge Leute für die Politik gewinnen wollen.
André Bock (42, CDU): "Überalterung halte ich für zu hoch gegriffen, da man mit 58 Jahren heute noch nicht alt ist. Allerdings sollten wir wirklich mehr Mitglieder zwischen 18 und 40 Jahren haben. Das Problem dabei ist allerdings, dass gerade junge Leute zunächst einmal andere Interessen und Schwerpunkte in ihrem Leben haben. Das ist ein normaler Lauf, gegen den es kein Patentrezept gibt."
Benjamin Qualmann (35, SPD): "Junge Leute, die in den Rat kommen, steigen oftmals auch gerade ins Berufsleben ein. Und dort wird hohes Engagement gefordert, das wenig Zeit neben dem Beruf übrig lässt. Ein weiterer Negativpunkt ist der Beginn der Ausschusssitzungen, der oft zwischen 16 und 17.30 Uhr liegt. Das ist für normale Arbeitnehmer nicht zu schaffen. Dann muss man sich nicht wundern, wenn es keinen jungen Nachwuchs in dem Gremium gibt."
Bernd Meyer (55, Gruppe Grüne/Linke): "Es ist schwer, politisch interessierte Jugendliche in der Stadt zu halten. Denn neben den 'normalen' Problemen, kommt auch Frust dazu, wenn die junge Leute nicht ernst genommen und ihre gut durchdachten Anträge in der Luft zerrissen und abgelehnt werden. Deswegen wäre es sinnvoll, ein Gremium ins Leben zu rufen, in dem Jugendliche eigenständig Ideen entwickeln und darüber debattieren. Anschließend werden ihre Empfehlungen an Rat und Verwaltung gegeben."
Nino Ruschmeyer (34, Gruppe Winsener Liste/FDP): "Die Crux mit ganz jungen Ratsmitgliedern ist, dass, wenn man sich für fünf Jahre wählen lässt zu einem Zeitpunkt, wenn das eigene Leben noch sehr im Fluss ist, es schwer ist, für diesen langen Zeitraum vorzuplanen. Deshalb ist es nüchtern betrachtet besonders schwierig, Kandidaten im Alter zwischen 20 und 50 zu finden, die gleichzeitig aber besonders wertvoll sind, weil sie die Hauptlasten der politischen Entscheidungen zu tragen haben. Jugend ist an sich kein Qualitätsmerkmal - auch zwischen Altersweisheit und Altersstarrsinn liegt oft nur ein schmaler Grat."
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