Buxtehude: Hase und Igel
90 Prozent finden: Das Märchen sollte unkommentiert bleiben

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sv. Buxtehude. "Sollte das Märchen vom Has' und Igel gesamtgesellschaftlich eingeordnet oder gekürzt werden?" - Diese Frage stellte das WOCHENBLATT seinen Leserinnen und Lesern vor einer Woche. Grund für die Umfrage ist die rassistische zweite Lehre des Märchens, die folgendermaßen endet:

"Es ist gut, wenn einer heiraten will, dass er sich eine Frau von gleicher Herkunft wählt und die genauso aussieht wie er selber. Wer also ein Igel ist, muss sehen, dass seine Frau auch ein Igel ist."

Das Ergebnis der Umfrage:

Dass die Buxtehuder ihr geliebtes Märchen verteidigen würden, war zu erwarten und spiegelt sich auch in der Online-Umfrage wieder:

Von 528 abgegebenen Stimmen ist die eindeutige Mehrheit von 90,15 Prozent gegen eine Einordnung des Märchens, 7,39 Prozent stimmten dafür, das Märchen mit einem Hinweis zum gesamtgesellschaftlichen Kontext und einer Einordnung zu den heutigen Werten zu versehen und 2,27 Prozent finden, die zweite Lehre sollte ganz gestrichen werden. Nur ein Teilnehmer war sich unschlüssig. 

Umfrage: Sollte das Märchen von Hase und Igel eingeordnet werden?

Aufgrund der vielen Zuschriften zeigt das WOCHENBLATT eine Auswahl der Leserbriefe und Kommentare:

"Hier wurden die Standesunterschiede angesprochen"

Märchen sind in erster Linie für Kinder. Und in diesem Märchen kommen überhaupt keine Menschen vor. Sollte der intelligente Erwachsene dieses Märchen lesen, muss er natürlich eine Interpretation bieten. Hierzu sei angemerkt, dass in der Gleichsetzung zu unseren menschlichen Verhaltensweisen wohl weniger die Rassen- als die Standesunterschiede angesprochen wurden, die zur damaligen Zeit einen weitaus bedeutenderen Stellenwert als heute hatten.

Rassenprobleme gab es in Buxtehude weniger, da zur Zeit der Entstehung des Märchens Fernreisen und Umzüge in andere Länder einfach weitaus seltener stattfanden. Und zwar so selten, dass niemand es in Buxtehude für nötig hielt, darüber ein Märchen zu verfassen.
Anka Henrici, Buxtehude

"Fehler der Vergangenheit können der Mahnung dienen"

Das Märchen vom Hasen und vom Igel sollte unkommentiert bleiben. Es ist schon lange gesellschaftlicher Konsens, dass Überzeugungen aus früheren Zeiten, wie im besagten Märchen, längst überholt sind. Man wird die Fehler der Vergangenheit nicht dadurch los, dass man sie negiert. Im Gegenteil: Sie können der Mahnung dienen.

Die Gründe für die Forderung nach einer Löschung oder Kommentierung liegen tiefer: Den technischen und finanziellen Fortschritt im Lande besorgen Naturwissenschaftler, Unternehmer und Handwerker. Nicht die Medien, nicht der Staat und nicht die vornehmlich staatlich beschäftigten Sozialwissenschaftler. Die können sich einzig auf dem Gebiet der Moral noch von der Masse ab-, ja sich sogar über sie erheben.

Deswegen wird ständig nach Opfern und Diskriminierung gesucht. Wer definiert, was Rassismus und Diskriminierung sind, produziert damit automatisch Diskriminierende und Rassisten. Und meint damit die 90 Prozent, die in der Umfrage der Kreiszeitung das Märchen unverändert und unkommentiert lassen wollen.
Marcus Oehler, Rosengarten

"Das Verständnis der 'Welt' ist heute ein völlig anderes"

Während meiner Zeit als Buxtehuder Stadtführerin habe ich die Fabel gerne zum Besten gegeben. Wilhelm Schröder hat die Geschichte seit nun mehr 180 Jahren im deutschen Sprachraum unauflöslich mit Buxtehude verquickt.

Mir persönlich war seine Fassung eher zu „aggressiv“, strotzte sie doch vor „Überheblichkeit und verletztem Stolz“ , auf beiden Seiten! Mitunter regte sich bei den Zuhörenden Entsetzen über das tragische Ende des Hasen unserer deutschsprachigen Version. Eine Besucherin aus einem anderen Kulturraum drückte ihr Unbehagen so aus: „Der Hase hat sich aus eigener Kraft fortbewegt, während die Igel eine List anwenden“.

Hier habe ich die Geschichte in den historischen Hintergrund eingeordnet: Zur Zeit Wilhelm Schröders fühlte sich das Kleinbürgertum (Igel) zunehmend vom Großbürgertum (Hase) gegängelt, sodass die Verquickung des Volksmärchens mit Buxtehude, einer norddeutschen Kleinstadt, auf fruchtbaren Boden fiel. Eine Diskriminierung sexistischer oder rassistischer Art habe ich nicht kolportiert.

Das Verständnis der „Welt“ ist heute ein völlig anderes, sodass es nach 180 Jahren angesichts einer multikulturellen und diversen Gesellschaft angeraten ist, die Version von Wilhelm Schröder und den Brüdern Grimm in ihren historischen Kontext einzuordnen und zu kommentieren. Auch eine „Neufassung“ bzw. eine zeitgemäßere Interpretation wäre mit Sicherheit eine Option.
Josefine Frantzen, Buxtehude

"Das ist pure Natur"

Dieser Artikel darf nicht unkommentiert bleiben. Wenn der Igel darauf achtet, dass seine Frau auch ein Igel (korrekt wäre eine Igelin) ist, so soll der Mensch darauf achten, dass seine Frau keine Hamsterin oder Elefantin ist. Das hat mit Rassismus nichts zu tun, das ist pure Natur.
Manfred Dünow, Tostedt

Facebook:

Lilly Samuel: "Würde es nicht als rassistisch sehen. Man könnte es quasi auch so sagen: Menschen sollten dabei bleiben, Menschen zu heiraten, weil das am besten passt. Es ist ein Märchen, mein Gott."

Marius Menne:
"An Lächerlich- und Belanglosigkeit nicht zu unterbieten. Ein Glück heißt es bei Rumpelstilzchen 'der Königin ihr Kind' und nicht Junge oder Mädchen. Wo kämen wir denn da hin. Wobei es heutzutage auch eine gleichgeschlechtliche Beziehung sein müsste. Wieso nicht zwei Könige mit einem Kind. Am besten noch adoptiert und queer ... *Ironie Off"

Nina Berger:
"Wenn man einen Blick auf den Garten, Wald und Feld wirft, wird man unschwer erkennen, dass tatsächlich Igel und Igelin, Rehbock und Reh, Hase und Häsin usw. ein Paar bilden. Wird nun auch auf Kosten des Steuerzahlers die Sprachpolizei losgeschickt, um diesen Mitgeschöpfen den Wokismus (Anmerkung der Redaktion: übersteigerter Antirassismus) zu erläutern?"

Ist das Märchen von Has' und Igel rassistisch?

WOCHENBLATT-Kommentar: 

Andere Meinungen sollten Anlass zur Diskussion und nicht zur Beleidigung sein
Dass die WOCHENBLATT-Redaktion sich mit der Märchen-Umfrage ein provozierendes Thema ausgesucht hat und die Antworten dementsprechend hitzig ausfallen würden, war von vornherein klar. Dass die Diskussion auf Facebook derartig unsachgerecht und beleidigend ausuferte, war hingegen eine Enttäuschung.

Während die meisten Leserbrief-Verfasser noch in der Lage waren, ihre Meinung zu der Märchen-Umfrage im Rahmen normaler Umgangsformen in kritische Worte zu fassen, zeigte sich die Facebook-Kommentarspalte in ihrer unschönsten Form: Den Redakteuren wurde diktatorische Zensur und das baldige Verbrennen von Büchern vorgeworfen, Corona hätte die Redaktion lieber dahinraffen sollen und überhaupt seien diejenigen ein kranker Geist, die bei dem Märchen an Diskriminierung denken.

Es ist schwierig geworden, gerade zu Pandemie-Zeiten, zu diskutieren. Dabei ist der Meinungsaustausch doch aber so wichtig, um dazuzulernen! In den Leserbriefen und in einem der wenigen längeren Austausche auf Facebook fand ich viele hochinteressante Ansichten und nahm vor allem eine tiefgehende Sorge wahr, dass zu vieles, was den heutigen gesellschaftlichen Werten nicht mehr entspricht, zu voreilig "zensiert" wird. Eine Sorge, die ich durchaus teile.

Meine Meinung, dass das Märchen in der heutigen Zeit nicht unkommentiert so stehen bleiben darf, hat sich durch das Ergebnis der Umfrage nicht geändert. Genauso wenig erwarte ich, dass sich die Ihre geändert haben muss. Diese gegensätzlichen Haltungen sollten doch aber viel lieber einen Anlass für eine fruchtbare Diskussion statt für Beleidigungen auf Kindergarten-Niveau bieten.

Sie können den Artikel und die dazugehörige Umfrage gerne "blöd" und für "belanglos" halten. Aber wenn Sie außer Beleidigungen keine weiteren Worte finden, dann blättern oder scrollen Sie doch einfach weiter. Danke.
Svenja Adamski

Redakteur:

Svenja Adamski aus Buchholz

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