Mensch und Verhalten trennen: Wie Eltern und Lehrer aggressiven Jugendlichen helfen können
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Dass sich die jeweils ältere Generation über die Jugend beschwert, ist ein alter Hut: "Die Jugend ... hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte", hat der griechische Philosoph Sokrates schon rund vier Jahrhunderte vor Christi Geburt behauptet und dieser Satz könnte ebenso gut heutzutage geäußert worden sein.
"Was heute aber wirklich anders ist, ist, dass Jugendliche eine höhere Gewaltbereitschaft als noch vor zehn Jahren zeigen", stellt Sascha Tiedemann, ausgebildeter Erzieher, gerichtlich bestellter Betreuer von straffällig gewordenen Jugendlichen und Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Trainer aus Bliedersdorf, fest. "Dabei geht es nicht nur um Schlagen und Treten, sondern z.B. auch um Bespucken, Beleidigungen, Demütigungen und - ganz wichtig - Mobbing." Die Frage ist: Was können Eltern, Lehrer und alle, die einen Erziehungsauftrag haben, dagegen tun?
Vorweg: Von Pauschalisierungen und Schuldzuweisungen hält Sascha Tiedemann nichts. Er sucht weder bei den Kindern noch bei Erwachsenen nach einer Schuld, sondern nach Lösungen. Jedes Kind und jeder Jugendliche habe andere Gründe, warum es oder er sich aggressiv verhält. Wut, Trauer, Frust, der Wunsch nach Aufmerksamkeit oder Anerkennung und auch das fehlende Wissen über alternative Verhaltensweisen können z.B. Ursachen sein.
Dass Aggression und Gewaltbereitschaft zunehmen, hängt laut Tiedemann mit der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere dem Medienkonsum zusammen: Casting-Sendungen, in denen Teilnehmer öffentlich bloßgestellt werden, Horrorfilme, gewaltverherrlichende Computerspiele, Mobbing über soziale Medien wie Facebook oder auch Whatsapp. "Viele Eltern und Lehrer wissen gar nicht, was ihre Kinder und Schüler zum Teil verkraften müssen", so Tiedemann.
Solche Faktoren können jedoch dazu führen, dass auch bei Kindern aus "heilen Elternhäusern" die Hemmschwelle für Gewalt sinkt. "Wichtig ist, mit dem jungen Menschen zu sprechen, wenn er sich unerwünscht verhält, ihn ernst zu nehmen und nach den Gründen seines Verhaltens zu forschen", so der Erzieher. Einen wesentlichen Lösungsansatz er sieht auch darin, die eigene Haltung zu überdenken und strikt zwischen dem Menschen und seinem Verhalten zu trennen. "Mein Grundsatz ist z.B., dass mich mein Schützling nicht enttäuschen kann, egal, was er tut. Als Mensch ist er in Ordnung, wie er ist. Es ist nur sein Verhalten, das nicht erwünscht ist."
Wenn jedoch ein "Strafaktendenken", wie Tiedemann es nennt, einsetze, und das Kind immer wieder an seine Missetaten erinnert und daran gemessen werde, gebe es sich auf. "Das darf nicht passieren." Wichtig ist, dabei auch zu berücksichtigen, dass es in der Regel ein halbes bis Dreivierteljahr Zeit braucht, bis sich bei Kindern und Jugendlichen eine Verhaltensänderung zeigt. Daher hält Tiedemann z.B. Projektwochen an Schulen als Gewaltprävention für wenig effektiv. "Für ein echtes Umdenken reicht die Zeit nicht aus."
Auch als Betreuer von straffällig gewordenen Jugendlichen ist Tiedemann mit seinem Lösungsansatz, zwischen Mensch und Verhalten zu trennen, erfolgreich. Anfangs müsse er bei den "schweren Fällen" zwar erst einmal mit einer "sekundären Motivation" arbeiten: "Wenn die Jugendlichen nicht mit mir kooperieren, dann bleibt ihnen nur der Knast als Alternative. Das ist zunächst ihre Motivation." Im nächsten Schritt aber baue er eine Beziehung zu den jungen Menschen auf, die das Erarbeiten einer primären Motivation ermöglicht. Und dann sind auch diese Jugendlichen auf einem guten Weg.
Keine Scheu vor dem Jugendamt
(wd). Als qualifizierter Anti-Agressivitäts- und Coolness-Trainer steht Sascha Tiedemann mit seinem Fachwissen auch Eltern und pädagogischen Einrichtungen zur Verfügung. Eltern, die kein Geld für die Beratung zahlen möchten oder können, empfiehlt er, sich bei Problemen ans Jugendamt wenden. "Eine Scheu vor dem Jugendamt ist völlig unbegründet", so der Experte. "Eltern brauchen keine Sorge zu haben, dass sie damit in die Mühe der Behörden geraten oder ihnen gar die Kinder weggenommen werden. Sie bekommen dort eine gute Unterstützung."
Redakteur:Nicola Dultz aus Buxtehude |
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