Städte und Gemeinden sind alarmiert: Die EU will öffentliche Vergaben neu definieren
"Die beste Reform wäre keine Reform", mahnt der Städte- und Gemeindebund
tk. Landkreis. Es dauert immer länger, bis Städte und Gemeinden ihre Investitionen in die Tat umsetzen können. Einer der Gründe: Die Vorgaben des EU-Ausschreibungsrechts. Beispiel: Für die Sanierung und Erweiterung von zwei Schulen in Buxtehude braucht die Verwaltung gut ein Jahr Vorlaufzeit, weil sie schon die Planungsleistungen EU-weit ausschreiben muss. 25 vorgeschrieben Schritte müssen getan und dokumentiert werden, bevor sich ein Planer zum ersten Mal konkret Gedanken macht. Jetzt plant die EU-Kommission eine grundsätzliche Neuregelung des Ausschreibungsrechts.
Darum geht es: Die EU-Kommission hat im Oktober ein neues Vergabepaket vorgestellt. Darüber sollen die EU-Mitgliedsstaaten in den kommenden Monaten diskutieren. Die deutsche Fassung des Positionspapier listet auf 17 Seiten auf, was sich verändern soll.
Die Kernpunkte: Öffentliche Auftragsvergaben sollen "strategischer" werden: Innovative, ökologische und soziale Kriterien sollen wichtiger werden als das günstigste Angebot. Solche Kriterien "müssen angewendet werden", fordert die Kommission.
Wer in Verwaltungen mit öffentlichen Ausschreibungen zu tun hat, muss besser geschult werden. Die EU-Kommission nennt das "Professionalisierung öffentlicher Käufer".
Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sollen besser an EU-weiten Ausschreibungen grenzüberschreitend teilnehmen können.
Vergabeverfahren sollen digitalisiert werden, damit alle relevanten Daten leichter zugänglich sind. Die Kommission empfiehlt unter anderem öffentlich zugängliche Auftragsregister. Von der Planung eines Projektes bis zur Archivierung soll alles erfasst werden.
Auf dem Papier hört sich das, was die EU-Kommission zur Neuregelung von öffentlichen Vergabeverfahren vorhat, gut an. In den Rathäusern von Winsen bis Stade wird dennoch kein Jubel ausbrechen. Denn: Die letzte, dagegen noch kleine Veränderung bei EU-weiten Ausschreibungen, nämlich die Pflicht, Planungsleistungen ab einem Schwellenwert von 209.000 Euro auszuschreiben, sorgt in allen Kommunen für monatelange Verzögerungen bei Investitionsprojekten. Thorsten Bullerdiek, Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB) stellt daher fest: "Die beste Reform wäre keine Reform."
In deutschen Rathäusern wehren sich die Führungskräfte nicht gegen eine Modernisierung der Vergabeverfahren. Dass Mitarbeiter etwa besser geschult werden, begrüßt der Buxtehuder Fachgruppenleiter und Verwaltungsjurist Ralf Dessel. "Zur Zeit spielt das weder in Ausbildung noch im Studium eine große Rolle." Dennoch überwiegt die Skepsis: "Vermeintliche Vereinfachungen führen erfahrungsgemäß zu einer Verkomplizierung", sagt Dessel. Ein Beispiel: Wenn Innovation ein Vergabekriterium werden sollte, "öffnet das ein Tor zur rechtlichen Überprüfung von Entscheidungen." Wie soll eine Kommune rechtssicher nachweisen, das Anbieter A innovativer als B ist? Es werde wohl deutlich mehr Klagen geben. Was wiederum die Auftragsvergabe verzögere.
"Nicht noch mehr verschärfende Regelungen", sagt Thorsten Bullerdiek, Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes über die Reformpläne der EU-Kommission zu Vergabeverfahren. Auch wenn manche Neuregelung die Kommunen nicht betreffen, weil sie nicht im dreistelligen Millionenbereich investieren, sieht er dennoch Problem auf die Städte und Gemeinden zukommen.
Beispiel bessere Ausbildung für Mitarbeiter, die mit Vergaben zu tun haben: Das lohne sich nicht immer, denn so viele Großprojekte schiebe eine einzelne Kommune gar nicht an.
Dass der Begriff der Innovation so hoch gehängt werde, sei übertrieben. "Innovation will schließlich jeder." Je mehr Bewertungskriterien in eine Vergabe fließen, desto komplizierter werde ein solches Verfahren, warnt Bullerdiek. "Je einfacher Regeln sind, desto einfacher lassen sie sich nachvollziehen."
Dass kleinere und mittlere Unternehmen stärker von EU-weiten Ausschreibungen profitieren sollen, funktioniere schon heute nicht. Die bürokratischen Hürden seien zu hoch. "Ein mittelständischer Dachdecker wird lieber ein Dach vor ORt eindecken als sich zwei Tage mit einer EU-kompatiblen Angebotserstellung herumschlagen", sagt Bullerdiek.
Seine Befürchtung: "Das wird für die Kommunen ein Bumerang." "Das wird ein Bumerang".
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