In Harsefeld geht es ganz langsam "abwärts"
Ein Wohnquartier senkt sich allmählich ab / Ursache ist die Soleförderung der Dow
jd. Harsefeld. Das Auetal zwischen Harsefeld und Ohrensen ist eine kleine Naturidylle. Doch diese Idylle war in den 1980er Jahren getrübt. Harsefelder Bürger waren in Sorge, weil das Chemieunternehmen Dow im dortigen Salzstock Kavernen anlegte. Auch das WOCHENBLATT berichtete über den Widerstand der Bürgerinitiative "Schutzgemeinschaft Harsefeld". Die befürchtete großflächige Zerstörung der Landschaft blieb aus, der Protest ist längst verhallt. An den Streit von damals erinnert noch eine kleine, gelbe Info-Broschüre im Redaktionsarchiv. WOCHENBLATT-Redakteur Jörg Dammann bekam sie kürzlich zwischen die Finger und stellte sich die Frage, ob alle damaligen Bedenken ausgeräumt wurden. Bei der Recherche stieß er auf einen interessanten Aspekt: die sogenannte Konvergenz, über die - anders als in Harsefeld - an anderen Kavernen-Standorten durchaus kontrovers diskutiert wird (siehe unten).
In den Kavernen gewinnt Dow seit Jahrzehnten Salz, das für die Produktion im Chemiewerk in Stade-Bützfleth benötigt wird. Die Kavernen sind gewaltige, bis zu 500 Meter hohe und mit Salzwasser gefüllte Hohlräume, die einen Durchmesser von etwa 100 Metern haben und die sich in einer Tiefe zwischen einem und zwei Kilometern im Harsefelder Salzstock befinden. Diese riesigen Kammern sind einem ständigen Druck durch die darüber befindlichen Gesteinsschichten und dem umliegenden Steinsalz ausgesetzt.
Um diesen Gebirgsdruck geht es letztlich: Würde mit technischen Maßnahmen in den Kavernen kein Gegendruck erzeugt werden, hätte das zur Folge, dass die Kavernen an Volumen verlieren, indem sie zusammengepresst werden. Dieser Volumenverlust wird von den Fachleuten als Konvergenz bezeichnet. Dass in der Nutzung befindliche Kavernen leicht schrumpfen, ist trotz aller Ingenieurskunst offenbar unvermeidbar. Dieser geologische Prozess tief im Erdinneren führt wiederum zu Bodenabsenkungen an der Erdoberfläche. Solche Absenkungen werden auch im Umfeld der Harsefelder Kavernenanlagen registriert. Das ist vor allem im Wohngebiet auf dem Harsefelder Bockelfeld der Fall. Laut Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) - oftmals auch kurz Bergamt genannt - erfolgen seit 1971 regelmäßig Messungen in Harsefeld. Das Ergebnis: "Westlich der Harsefelder Herrenstraße hat sich eine Senkungsmulde mit Senkungen zwischen einem und neun Zentimeter ausgebildet", so LBEG-Sprecherin Heinke Träger.
Das Bergamt benennt das Chemieunternehmen eindeutig als Verursacher: "Die Senkungen im Bereich Harsefeld sind auf das Aussolungsbergwerk Ohrensen der Dow zurückzuführen", erklärt die LBEG-Sprecherin auf WOCHENBLATT-Nachfrage. "Ursächlich ist die Konvergenz der Kavernen, die sich an der Tagesoberfläche in Form einer Senkungsmulde bemerkbar macht." Die maximale Senkung von neun Zentimetern seit 1971 befindet sich laut den Daten des Bergamtes im westlichen Bockelfeld, nur wenige hundert Meter von den nächstgelegenen Kavernen entfernt. Je weiter man im Ort nach Osten kommt, umso geringer sinkt der Boden ab. "Der Bereich östlich der Herrenstraße wird durch die Kavernenanlagen nicht beeinflusst", so Träger.
Das Bergamt geht nach Auskunft seiner Sprecherin davon aus, dass bis zur Stilllegung der Kavernen weiterhin durchschnittliche jährliche Senkungsraten von höchstens zwei Millimetern auftreten. Höhere Werte seien "nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht zu erwarten". Bliebe es auch in Zukunft rein theoretisch bei diesen Absenkungen, dann würde sich eines fernen Tages das Bockelfeld auf Höhe der Herrenstraße befinden. Bei einem derzeitigen Höhenunterschied von 20 Metern würde das allerdings 10.000 Jahre dauern.
2,50 Meter tiefe Senkungsmulde
Wenn in Niedersachsen in den vergangenen Jahren über die Auswirkungen von Kavernen auf die Umwelt diskutiert wurde, ging es meist um das Kavernenfeld im ostfriesischen Etzel. Dort bildet sich ebenfalls eine Senkungsmulde, die Kritikern immer wieder Anlass gegeben hat, auf die Risiken von Kavernen hinzuweisen. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aus dem Jahr 2017 soll die maximale Absenkung des Bodens im Zentrum der Mulde nach 100 Jahren Betriebsdauer im Jahr 2120 fast 2,50 Meter betragen. Im vergangenen Jahr sorgte eine "Horror-Prognose" für große Aufregung: Demnach könnte die Absenkung an bestimmten Stellen dramatische sechs Meter in 100 Jahren erreichen.
Diese "Hochrechnung" wird allerdings angezweifelt. Noch untersucht werden sollen laut BGR "mögliche Auswirkungen auf die Bebauung". Im Klartext geht es um mögliche Risse an Häusern. Das BGR geht für die kommenden 300 Jahre von einer Schieflage von 1,3 Millimetern auf einen Meter aus. In Harsefeld ist von weitaus geringeren Werten auszugehen, da die Anlage in Etzel auch wesentlich größer als in Harsefeld ist.
Bei Bodenabsenkungen aufgrund von Salzförderung denkt mancher vielleicht auch an Lüneburg, wo jahrhundertelang das "weiße Gold" abgebaut wurde. Die Folgen sind heute noch spürbar. In der Stadt gibt es größere Bodenabsenkungen. Häuser mussten abgerissen und Straßen gesperrt werden.
Doch Lüneburger Verhältnisse sind in Harsefeld nicht zu befürchten. In Lüneburg wurde das Salz in einer Tiefe von nur 40 Metern gefördert. Die Auswirkungen auf die Oberfläche im näheren Umfeld können daher wesentlich schwerwiegender sein als bei einer Kaverne, die sich in viel größerer Tiefe befindet.
Professor begutachtet Text: Über das ungewöhnliche "Making-of" dieses Artikels
Am Anfang stand die unverfängliche Bitte an die Dow, vor der Veröffentlichung des obigen Artikels die darin enthaltenen Fakten zu bestätigen. Nach einem ersten, etwas zögerlichen "Okay" gingen dann teils mehrmals in der Woche Anrufe des Dow-Sprechers bei der Redaktion ein - immer wieder verbunden mit "wohlwollenden" Ratschlägen, bestimmte Passagen zu streichen oder das zentrale Thema der Bodensenkungen ganz außen vor zu lassen. Das WOCHENBLATT könnte doch andere, positivere Aspekte in den Mittelpunkt stellen, so die Empfehlung.
Das ließ aufhorchen. Aus journalistischer Sicht stellt sich sofort die Frage: Was steckt dahinter, wenn ein Unternehmen sich so intensiv bemüht, Einfluss auf den Inhalt eines Artikels zu nehmen? Denn es blieb nicht bei Anrufen: Die Dow versuchte auch, beim Bergamt zu intervenieren, schickte den Textentwurf ohne Wissen und Zustimmung der Redaktion an den dort zuständigen Geologen. Bei der Behörde biss die Dow allerdings auf Granit: Die Sprecherin versicherte dem WOCHENBLATT, dass der Artikel inhaltlich in Ordnung sei und die Fakten stimmen.
Die Dow ließ aber nicht locker. Das nächste Geschütz wurde aufgefahren: Ein Professor aus Aachen erhielt den Auftrag, den Artikel "aus fachlicher Sicht zu kommentieren". Der Bergbau-Experte verfasste ein zweiseitiges Schreiben, in dem er seine Fachkenntnisse hervorhob. Quintessenz bleibt allerdings: Die wesentlichen Punkte zu den Absenkungen in Harsefeld werden auch von dem Professor nicht entkräftet.
An vielen Stellen findet sich statt fachlicher Kritik eine persönliche Meinung zur journalistischen Aufarbeitung des Themas. Dazu zählt die Empfehlung, dass der Vergleich mit Lüneburg und Etzel besser unterbleiben sollte: "Allein die Erwähnung dieser beiden Orte mag bei Lesern Unbehagen bereiten", schreibt der Professor.
Allerdings sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass auch zwei Hinweise des Experten in den Text eingearbeitet wurden: Wenn sich schon die Gelegenheit ergibt, dass ein Professor einen Artikel begutachtet, dann sollte man brauchbare Tipps auch annehmen. Dennoch fährt die WOCHENBLATT-Redaktion in dieser Hinsicht eine klare Linie: Für sachliche Hinweise, konstruktive Ratschläge und ehrliche Tipps sind wir immer offen, Einflussnahme lehnen wir ab.
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