"Das ist wie eine erneute Vertreibung!"
Cornelia Ziegert und Martin Engelhardt verstehen nicht, warum der Landkreis die Flüchtlinge so schnell verlegen möchte.
mum. Jesteburg. Jetzt hat es der Landkreis Harburg offensichtlich doch eilig, die Flüchtlinge aus Jesteburg auf andere Standorte zu verteilen. Laut einem Schreiben, das dem WOCHENBLATT vorliegt, sollen die Unterkünfte am Erikaweg (das ehemalige Puppenmuseum, 16 Bewohner), Gartenstraße (7) und am Sandbarg (20) schon zum Ende des Monats geräumt werden. Gerade einmal elf Zeilen ist dem Landkreis diese Information an die Flüchtlinge wert.
In dem Brief, der den Betroffenen erst Mitte vergangener Woche zugestellt wurde, heißt es unter anderem: „Der Landkreis hat entschieden, dass die von Ihnen bewohnte Unterkunft nur noch bis zum 26. Januar als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. Diese Entscheidung hat leider für Sie zur Folge, dass Sie umziehen müssen.“
Diese Hektik ärgert Pastor Martin Engelhardt und Cornelia Ziegert (SPD). Beide sind in der Flüchtlingshilfe aktiv und glauben nicht daran, dass der Landkreis die Flüchtlinge mit Augenmaß verteilen wird. „Die Menschen haben eine Flucht hinter sich und werden nun schon wieder aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen“, so Engelhardt. Beide sind davon überzeugt, dass die Hektik übertrieben ist.
"Diese Hektik ist übertrieben!"
Jetzt muss plötzlich alles ganz schnell gehen! Noch vor ein paar Tagen hatte Landkreis-Fachbereichsleiter Reiner Kaminski gesagt, dass die Flüchtlinge, die in Jesteburg untergebracht sind, erst im März auf neue Standorte verteilt werden. Nun sollen die Asylbewerber schon Ende Januar aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden. In einem Brief an die Flüchtlinge heißt es: „Am 11. Januar findet um 17.45 Uhr eine Informationsveranstaltung statt. Dort wird Ihnen der weitere Ablauf der Schließung Ihrer Unterkunft und die weiteren Schritte mit Ihrem notwendigen Umzug vorgestellt.“
Wie berichtet, plant der Landkreis, Unterkünfte, deren Mietverträge auslaufen, zu schließen und die dort untergebrachten Menschen - in der Regel „alleinreisende Männer“ - auf andere Standorte zu verteilen. Konkret geht es um 398 Menschen. Jesteburg ist am stärksten betroffen. Etwa 130 Asylsuchende sollen verlegt werden - allein im ehemaligen Hotel Niedersachsen wohnen etwa 80 Flüchtlinge. Während das Hotel und die Unterkunft in der Gartenstraße aufgegeben werden sollen, plant der Landkreis die Sandbarg-Unterkunft für Familien zu nutzen. In das ehemalige Puppenmuseum sollen minderjährige Flüchtlinge einziehen.
„Ich bin entsetzt, wie der Landkreis hier vorgeht“, sagt Pastor Martin Engelhardt. Seit gut einem Jahr betreut er die Flüchtlinge in der Unterkunft am Erikaweg. Einige der Männer würden für einen Airbus-Zulieferer in Neu Wulmstorf arbeiten, andere besuchen Deutsch-Kurse in Buchholz. „Niemand nimmt darauf Rücksicht, dass sie inzwischen gut integriert sind“, so Engelhardt. Er kann sich nicht vorstellen, dass es dem Landkreis gelingen wird, innerhalb von nur zwei Wochen „Lösungen mit Augenmaß“ zu finden. Aber genau das hatte Fachbereichsleiter Reiner Kaminski Ende des Jahres versprochen. „Wir werden Fragebögen verteilen, auf denen die Flüchtlinge angeben sollen, wo sie Deutsch-Kurse besuchen oder eine Ausbildung machen beziehungsweise einem Beruf nachgehen“, so Kaminski. „Wir sind bemüht, darauf Rücksicht zu nehmen und die Menschen möglichst in der Nähe unterzubringen.“
Auch Cornelia Ziegert (SPD), die sich für die Flüchtlinge in Jesteburg engagiert, ist entsetzt. „Ich kann diese Eile nicht nachvollziehen“, so Ziegert. Natürlich sehe sie die Notwendigkeit, überzählige Unterkünfte zu schließen. „Aber doch nicht ohne Rücksicht auf Verluste.“ Die Menschen hätten nach ihrer Flucht endlich ein Zuhause gefunden und würden jetzt schon wieder vertrieben werden.
Ziegert weist auf ein Gespräch mit dem Landkreis Ende vergangenen Jahres hin. „Uns wurde damals als Gemeinde mitgeteilt, dass die Flüchtlinge bis Ende 2018 in Jesteburg bleiben dürfen.“ Bis dahin wären die sozialen Wohnungsbauprojekte der Gemeinde umgesetzt gewesen und die Flüchtlinge hätten dort einziehen können. Es sei kein Geheimnis, dass Flüchtlinge große Schwierigkeiten hätten, bezahlbare Wohnungen zu finden. „Das gilt übrigens auch für Geringverdiener“, so Ziegert weiter. Vor diesem Grund verstehe sie noch weniger, warum der Landkreis jetzt in Panik verfalle.
Pastor Engelhardt erinnert sich: „Die Flüchtlinge am Erikaweg stammen überwiegend aus Syrien und Somalia. Das hat anfangs für große Spannungen gesorgt. Doch inzwischen ist dort eine echte Wohngemeinschaft entstanden.“ Engelhardt findet es schade, dass die Gruppe auseinandergerissen wird.
Redakteur:Sascha Mummenhoff aus Jesteburg |
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