Jesteburg: Das Zentrum der Elite?
Eltern und Politik begründen Einrichtung einer Oberstufe mit Lügen.
mum. Jesteburg. Ist das kleine Jesteburg die Elite-Schmiede des Landkreises Harburg? Ein Brief, den der Elternrat der Oberschule und Politiker von CDU, SPD und Grünen jetzt an Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) geschrieben haben, lässt diesen Schluss zu. „Als Oberschule mit gymnasialem Angebot besteht unsere Schülerschaft aus überdurchschnittlich vielen leistungsstarken Schülern, die bereits heute im gymnasialen Niveau und ab Klasse 9 in reinen Gymnasialklassen unterrichtet werden“, heißt es in dem Schreiben, der die Überschrift „Hilferuf aus Jesteburg: 200 Oberstufen-Schüler ohne Oberstufe“ hat. Ziel des Briefes: Jesteburgs Oberschule soll eine eigene Oberstufe bekommen.
Laut niedersächsischem Schulgesetz ist genau das nicht erlaubt. „Aber es ist der Wunsch unserer Schüler und deren Eltern, in Jesteburg das Abitur zu machen“, sagt Iris Strunk, die Leiterin der Oberschule. Sie betont, dass der Brief an das Kultusministerium mit ihrem Wissen auf den Weg gebracht wurde, sie ihn aber nicht verfasst habe.
Das Vorgehen der Schule kommt beim Landkreis Harburg nicht gut an. „Der Brief wurde uns nur zur Kenntnis gegeben und ist nicht mit uns abgestimmt“, sagt Landkreis-Sprecher Johannes Freudewald. Er weist auf die bestehenden Bestimmungen hin: „Warum sollte für Jesteburg eine Ausnahme gemacht werden?“
Besonders bedenklich ist, dass die Verfasser vor Lügen nicht zurückschrecken, um ihrem Anliegen mehr Gewicht zu geben. „Die umliegenden Gymnasien haben angegeben, dass ihre Oberstufen bereits ausgelastet sind“, argumentieren die Verfasser. „Das entspricht nicht der Wahrheit“, betont Hans-Ludwig Hennig, der Leiter des Albert-Einstein-Gymnasiums in Buchholz. Jedes Gymnasium im Landkreis Harburg sei in der Lage, zwischen zehn und 15 Schüler in der Oberstufe aufzunehmen.
"Wir schauen nur auf uns!"
Jesteburg sorgt in puncto Schule mal wieder für Schlagzeilen. Der Brief an Kultusministerin Frauke Heilienstadt (SPD), den Philip Leser und Nicole Eckelmann (Schulelternrat) sowie Nathalie Boegel (CDU), Steffen Burmeister (SPD) und Karl-Heinz Glaeser (Grüne) verfasst haben und der dem WOCHENBLATT vorliegt, verdeutlicht, wie wirklichkeitsfremd man in dem kleinen Dorf inzwischen ist. Die Verfasser fordern darin unter anderem die Einführung einer Oberstufe für die Oberschule in Jesteburg.
In dem Schreiben heißt es unter anderem: „Für unsere Schüler würde das Nein zur Oberstufe bedeuten, dass sie ab Beginn von Klasse 10 klinkenputzermäßig von Gymnasium zu Gymnasium im Landkreis ziehen müssten, um hoffentlich irgendwo die Oberstufe besuchen und das von ihnen angestrebte Abitur ablegen zu dürfen.“ Und weiter: „Dieser Ausblick erfüllt die Schüler sowie die Eltern mit Zukunftsängsten und das Kollegium mit Sorge. Perspektivisch gesehen gefährdet eine fehlende Oberstufe unseren erfolgreichen und motivierten Schulstandort.“
Was das Quintett verschweigt: Der notwendige Schulwechsel nach der zehnten Klasse war allen von Beginn an klar, denn das niedersächsische Schulgesetz lässt in diesem Fall gar keine andere Interpretation zu. Das bestätigt auch Iris Strunk, Schulleiterin der Oberschule. „Aber es wäre doch schön, wenn unsere Schüler auch in Jesteburg die Möglichkeit bekommen würden, Abitur zu machen.“ Strunk habe die verantwortlichen Leiter der weiterführenden Schulen kontaktiert und die Möglichkeit abgeklopft, ob die Oberschüler dort ihre „Karriere“ fortsetzen können. „Das Ergebnis war ernüchternd. Mir wurde keine Hilfe angeboten.“
Dieser Aussage widerspricht Hans-Ludwig Hennig, Leiter des Albert-Einstein-Gymnasiums in Buchholz. „Zehn bis 15 Schüler kann jedes Gymnasium aufnehmen.“ Auch Landkreis-Sprecher Johannes Freudewald wundert sich über die Aussage von Iris Strunk. „Wir sind verpflichtet, den Bedarf an Oberstufenplätzen zu decken.“ Außerdem kämen auch die Gesamtschulen und Berufsbildenden Schulen in Frage. „Zur Not müssen wir auf Container zurückgreifen.“ Übrigens: Ohnehin stammt mehr als die Hälfte der angemeldeten Kinder nicht aus Jesteburg.
Erschreckend ist der Egoismus der Brief-Verfasser. Wenn tatsächlich Jesteburg eine Oberstufe zugesprochen bekommen sollte, warum sollte dies nicht auch für die vergleichbaren Standorte in Rosengarten und Marschacht gelten? Welche Konsequenzen würden die neuen „Schein-Gesamtschulen“ für die anderen Schulstandorte haben? „Das kann ich nicht beantworten, denn wir schauen nur auf uns“, lautet Strunks Antwort.
Was das Quintett in seinem Brief ebenfalls verschweigt: Die Schule ist nicht nur bei der Landesschulbehörde in Lüneburg abgeblitzt, sondern auch beim Albert-Einstein-Gymnasium in Buchholz. Im Gespräch war, dass Jesteburg eine Außenstelle des Gymnasiums wird. Auf WOCHENBLATT-Nachfrage bestätigte Iris Strunk, dass das Gespräch stattgefunden habe. „Das wäre für uns eine Lösung gewesen. Allerdings gab es Signale, dass daraus nichts wird.“
Ein Rückblick: Die Oberschule in Jesteburg war bereits vor ihrem Start ein Politikum. Mit großem Engagement kämpften Eltern und Politik für eine weiterführende Schule im Dorf. Ziel war eine Gesamtschule. Doch der Zuschlag für die erste Integrierte Gesamtschule im Landkreis ging an Buchholz. Jesteburg gab nicht auf. Die eigens gegründete und überparteiliche Schulinitiative setzte daraufhin alles daran, zumindest eine Oberschule mit gymnasialem Zweig zu bekommen. Mit Erfolg. 2012 ging die neue Schulform an den Start. Dank einer im Schulwesen noch nie dagewesenen Mega-PR-Kampagne übertrafen die Anmeldezahlen alle Erwartungen: Die neue Bildungseinrichtung startete mit 171 Jungen und Mädchen. Dieser Jahrgang ist inzwischen auf acht Klassen (177 Kinder) verteilt worden. „Dabei ist die Schule nur dreizügig geplant gewesen“, so Landkreis-Sprecher Freudewald. Nach dem Mega-Jahrgang gingen die Anmeldezahlen deutlich zurück. Im Schnitt werden 99 Kinder angemeldet - also vier Klassen pro Jahrgang. Für den Schulneubau, der den Landkreis 13 Millionen Euro kostete, ist selbst das zu viel. Wie berichtet, sieht das Konzept der Schule 18 Klassen-, sechs Gruppen- und vier Fachräume vor. Die reichen schon längst nicht mehr. Schon jetzt sind fünf Gruppen- und ein Fachraum zu Klassenzimmern umgerüstet worden. Für das Schuljahr 2017/18 fehlen - Stand jetzt - vier Klassenräume.
Unterricht neben der Schießbahn?
Auch das dürfte für reichlich Gesprächsstoff sorgen. Wie das WOCHENBLATT erfahren hat, ist die Schulleitung der Oberschule mit den Wunsch an den Landkreis Harburg herangetreten, die neue 1,5 Millionen Euro teure Festhalle des Jesteburger Schützenvereins als Unterrichtsraum nutzen zu dürfen. Wie bereits berichtet, plant der Landkreis zum Schuljahresbeginn 2017/18 aufgrund der Raumnot vier Container auf dem Schulgelände aufzustellen. "Ja, diesen Wunsch gibt es", bestätigt Freudewald. Demnach sollen im Dachgeschoss der Festhalle 300 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Ein Ortstermin sei geplant. Positiv für Jesteburg, schlecht für den Steuerzahler: Der Landkreis würde den Umbau finanzieren und sogar Miete zahlen.
Redakteur:Sascha Mummenhoff aus Jesteburg |
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