Mangelndes Demokratieverständnis bei der Union und den Genossen?
Liberale werfen SPD und CDU miese Masche vor: Kleine Parteien verlieren Ausschusssitze

Mehr schwarz und rot, weniger gelb und grün: Die Landesregierung führt eine neue Arithmetik bei der Vergabe von Ausschusssitzen ein | Foto: Adobe Stock/Gina Sanders
  • Mehr schwarz und rot, weniger gelb und grün: Die Landesregierung führt eine neue Arithmetik bei der Vergabe von Ausschusssitzen ein
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(jd). In Stade sind die Grünen in dieser Woche mit einer Resolution gescheitert, die sich gegen eine Gesetzesänderung der Landesregierung richten sollte (das WOCHENBLATT berichtete). Die Gesetzesnovelle hat zur Folge, dass kleinere Parteien künftig bei der Sitzverteilung in den Ausschüssen benachteiligt und größere bevorzugt werden. Profiteure sind vor allem CDU und SPD. Denen werfen die Grünen - und da ist man sich mit der FDP ausnahmsweise einig - mangelndes Demokratieverständnis vor.

Der Landtag hat am Mittwoch mit der Mehrheit der rot-schwarzen Koalition beschlossen, dass in Niedersachsen zum 1. November wieder nach dem Verfahren des Mathematikers d'Hondt statt nach Hare-Niemeyer - ebenfalls Mathematiker - gerechnet wird, um zu bestimmen, mit wie vielen Mandatsträgern eine Fraktion in einem Ausschuss vertreten ist. Das sogenannte d'Hondtsche Höchstzahlverfahren ist darauf ausgelegt, Parteien mit einem höheren Stimmenanteil bei den Wählern einen Vorteil zu verschaffen. So soll einer zu starken Zersplitterung in den politischen Gremien vorgebeugt werden.

Neues Berechnungsverfahren: Kleinere Parteien kommen in den Ausschüssen künftig zu kurz

"Wir wollen arbeitsfähige Strukturen in den Ausschüssen auf kommunaler Ebene gewährleisten", begründet der "Noch"-CDU-Landtagsabgeordnete und designierte Stader Landrat Kai Seefried diesen Schritt. In den Räten seien immer häufiger Kleinstparteien mit ein oder zwei Sitzen vertreten. Hätten diese noch Stimmrecht in den Ausschüssen, wäre es erheblich schwerer, zu klaren Abstimmungsergebnissen zu kommen. Die Botschaft sei: Wer als Partei in einem Ausschuss mit abstimmen will, sollte eine bestimmte Mindestgröße habe. Eine solche Hürde schaffe stabilere Mehrheitsverhältnisse.

Liberale gehen in den Ausschüssen oft leer aus

Welche konkrete Auswirkungen das auf die kommunalen Parlamente haben kann, zeigen ein paar Rechenbeispiele: Nach der bisherigen Berechnung hätte die FDP einen Platz im wichtigen Kreisausschuss des Harburger Kreistages sicher. Nun muss sie um den Sitz bangen, ebenso wie die FWG. Das Los wird jetzt entscheiden. Dafür kann die CDU ihre drei Mandate im Kreisausschuss auf vier aufstocken. Noch ärgerlicher sieht es für die Liberalen im Stader Kreistag aus. Dort gehörte die FDP zu den Wahlsiegern, verdoppelte ihre Kreistagsmandate von zwei auf vier. Doch im Kreisausschuss geht die FDP definitiv leer aus. Auch in diesem Fall ist die CDU Profiteur der neuen Wahlarithmetik und erhält einen Ausschusssitz mehr.

Ähnliches gilt für die Räte in der Region - immer nach dem gleichen Muster: Die stärkste und manchmal auch die zweitstärkste Fraktion, das sind meist weiterhin CDU und SPD, können sich über einen zusätzlichen Ausschusssitz freuen, während die "Kleinen" ihren bisher sicheren Platz verlieren. Oftmals trifft das die FDP, aber auch "Exoten" wie die Piraten oder "Die PARTEI", aber auch die AfD. Die rot-schwarze Koalition argumentiert nun, dass diese Parteien ja weiterhin ihr sogenanntes Grundmandat wahrnehmen können. Das ist aber ohne Stimmrecht.

Laut dem FDP-Fraktionschef im Winsener Kreistag, Arno Reglitzky, schadet das Vorgehen von SPD und CDU  den kleineren Parteien. "Das ist kein faires demokratisches Verhalten der beiden großen Parteien." Der wiedergewählte FDP-Fraktionschef im Stader Kreistag, Peter Rolker, spricht von einer Verzerrung des Wählerwillens. Wolfgang Ehlers, streitbarer Liberaler aus Stade, wetterte: "Das ist eine große undemokratische Sauerei, so etwas nach den Wahlen zu machen, um bestimmte Stimmverhältnisse noch zu 'reparieren'." Ihre Parteifreunde in Hannover haben sogar ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kommt: Die Gesetzesänderung ist verfassungswidrig.

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Die FDP sucht nun Bündnispartner für eine Normenkontrollklage, um vor den Staatsgerichtshof ziehen zu können. Schließlich sei das Gebaren von SPD und CDU demokratiegefährdend und entwerte zudem das politische Ehrenamt, so der FDP-Fraktionschef im Landtag, Stefan Birkner: "Die beiden großen Parteien sorgen für Frust bei engagierten Kommunalpolitikern, um sich selbst Vorteile zu verschaffen." Innenminister Pistorius (SPD) hingegen erklärte, dass er die ganze Aufregung nicht verstehe. Das sei nicht mehr als "ein Streit um des Kaisers Bart". Von einer Gefährdung der Demokratie könne keine Rede sein.

FDP im Kreis Stade: Aus Wahlgewinner wird ein Verlierer

Die FDP konnte ihre Mandate im Stader Kreistag verdoppeln - von zwei auf vier. Die Liberalen gehören damit zu den Gewinnern der Kommunalwahl. Die Rückkehr zum d'Hondtschen Zählverfahren (siehe Artikel rechts) macht die FDP aber nachträglich quasi durch die Hintertür zum Verlierer. Sie verliert nicht nur ihren Sitz und ihre Stimme im Kreisausschuss - also dem Gremium, in dem außerhalb der Kreistagssitzungen die politischen Fäden zusammenlaufen.

Auch in den zehn Fachausschüssen (Bauen, Wirtschaft, Finanzen usw.) des Kreistages muss die FDP um Sitz und Stimmrecht bangen. Nach dem bisherigen Zählverfahren dürfte die FDP-Fraktion mit ihren vier Kreistagsabgeordneten alle zehn Ausschüsse mit voll stimmberechtigten Mitgliedern besetzen. Nach dem neuen Verfahren muss in diesem Fall aber gelost werden - und zwar für jeden Ausschuss einzeln zwischen CDU und SPD, die schon einmal vier bzw. drei Ausschusssitze zugeteilt bekommen, sowie der FDP, die zunächst bei null anfängt. Die Grünen, die zwei Sitze erhalten, sowie die FWG mit einem Sitz bleiben außen vor. Denn gelost werden muss jeweils um den letzten Ausschusssitz, der vergeben werden kann, weil CDU, SPD und FDP bei der Sitzberechnung die gleiche Zahl hinterm Komma zum Aufrunden haben und damit theoretisch das gleiche Anrecht auf diesen Sitz haben.

Das könnte aber bedeuten: Wenn es beim Auslosen ganz dumm kommt, erhalten die Liberalen gar keinen Ausschusssitz. Sollte ihnen das Losglück hold sein, könnten es bis zu zehn Sitze werden. Da die FDP offenbar nicht allein auf Fortuna vertrauen will, laufen vor der konstituierenden Kreistagssitzung am 8. November Vorgespräche und es wurde schon fleißig hin- und hergerechnet. Denn durch die Bildung von Gruppen ist es manchmal möglich, die Sitzverteilung in den Ausschüssen zum eigenen Vorteil zu korrigieren. Durch eine Gruppenbildung zwischen der FDP und der FWG hätten die Liberalen ihre Ausschusssitze sicher gehabt. Doch FWG-Fraktionschef Uwe Arndt hat gegenüber dem WOCHENBLATT unmissverständlich klargemacht, dass er von Gruppenbildungen nichts hält: "Diese Zählgemeinschaften verfälschen im Nachhinein den Wählerwillen." Die FWG bleibe hier konsequent und werde ein Wahlergebnis nicht durch die Bildung einer Gruppe aushebeln.

Als zweite Option - und dieser Weg wird wohl bereits beschritten - kommt eine Absprache zwischen der Union, den Genossen und den Liberalen in Betracht. Demnach werden die besagten zehn Sitze den Ausschüssen (also die Sitze, um die eigentlich gelost werden müsste) zu gleichen Teilen aufgeteilt: Je drei für CDU, SPD und FDP. Das wären schon mal neun. Dann müsste nur beim zehnten Ausschusssitz zwischen den drei Parteien gelost werden. Solche Vereinbarungen sind rechtlich zulässig.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Peter Rolker hat bereits angekündigt, die Möglichkeit des Rederechts auf Basis des Grundmandats ausgiebig zu nutzen: "Wir werden unsere politischen Positionen unüberhörbar vertreten." CDU und SPD hätten durch ihre unsägliche Entscheidung für das d'Hondtsche Zählverfahren die FDP zwar um die Früchte ihres Wahlsieges betrogen. Doch dieser Versuch, kleinere Parteien bei der politischen Willensbildung auszugrenzen, werde scheitern.

Redakteur:

Jörg Dammann aus Stade

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