Das Bäumchen von Bashtanka
Ukraine-Krieg: Frieden ist ein ferner Traum
Harsefelder Pfadfinder pflanzen Bäume als Symbol des Friedens - in der Ukraine: Darüber berichtete das WOCHENBLATT im März 2016. Zu dem Foto, auf dem sieben Jugendliche aus Deutschland und der Ukraine abgebildet sind, heißt es im Artikel: Die jungen Pfadfinder "lernen nicht nur Land und Leute kennen, sondern wollen mit der gemeinsamen Baumpflanzaktion im Städtchen Bashtanka ein Zeichen der Hoffnung auf eine Zukunft ohne Kriege und Konflikte setzen". Da war es gerade zwei Jahre her, dass Russland völkerrechtswidrig die Krim annektiert und den Konflikt im Donbass geschürt hatte. Dennoch war die Hoffnung groß, dass diese Krise friedlich endet. Jetzt wissen wir: All diese Hoffnungen waren trügerische Illusionen. Friedens-Bäumchen stoppen keine russischen Panzer.
Ob es das Bäumchen, das da gerade gepflanzt werden sollte, überhaupt noch gibt? Ich wage es zu bezweifeln. Das rund 12.500 Einwohner zählende Bashtanka war eine Woche nach Beginn des russischen Überfalls Schauplatz heftigster Kriegshandlungen. Die Russen wollten die Kleinstadt auf ihrem Vorstoß nach Odessa im Handstreich einnehmen, scheiterten aber an der starken ukrainischen Gegenwehr. Bei diesen Kämpfen und späteren Raketen- und Bombenangriffen wurde ein Großteil des Ortes zerstört.
Warum mich dieses Foto mit den jungen Menschen und den Bäumchen so bewegt? Einmal aus persönlichen Gründen. Darauf ist auch meine Tochter Beke abgebildet. Sie gehörte damals mit zur Harsefelder Pfadfindergruppe, die in der Südukraine unterwegs war. Sie übernachtete bei Familien der ukrainischen Freunde und lernte liebenswerte Menschen in einem friedlichen Landstrich kennen, in dem heute Krieg und Terror herrschen. Persönlich berührt mich dieses Foto auch, weil Tetiana es gemacht hat - unsere Bekannte aus der Ukraine, über die ich schon berichtet habe.
In dem Gespräch, das ich mit Tetiana noch eine Woche vor dem russischen Überfall führte, war sie noch voller Hoffnung, dass alles ein gutes Ende nimmt. Sie ist mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter noch immer in der Ukraine - in "relativer" Sicherheit, wie sie es nennt. Die kleine Familie war aus Mikolajiw geflohen, jener Frontstadt, die oft als "letzte Bastion vor Odessa" bezeichnet wird und täglich russischen Luftangriffen ausgesetzt ist.
Tetiana hat mir berichtet, dass drei junge Ukrainerinnen auf dem Foto sich ebenfalls noch im Land aufhalten, aber nicht mehr in Bashtanka. Von einem Mädchen und dem Jungen, der die Schaufel in der Hand hält, wisse sie leider nichts. Wahrscheinlich sind auch sie aus Bashtanka geflohen. Denn hier liegt der andere Grund, warum mich dieses Foto so berührt: Ich habe ein wenig über die vergangenen beiden Kriegsmonate in Bashtanka recherchiert.
Ich stieß auf Bilder, die das Ausmaß der Zerstörung und Verwüstung dokumentieren, und las Berichte, die mich erschütterten. Da bombardierten die russischen Truppen am 19. April das örtliche Krankenhaus - obwohl es mit einem roten Kreuz auf weißem Untergrund gekennzeichnet war. "Dieses rote Kreuz ist von allen Drohnen und Flugzeugen aus gut sichtbar", sagt die Chefärztin der Klinik. Der Bürgermeister von Bashtanka berichtet, dass 70 Prozent der Bevölkerung den verwüsteten Ort verlassen haben.
Allein beim russischen Vorstoß Anfang März wurden fast 180 Häuser zerstört. In den anderen Gebäude zerbarsten wegen der Wucht der Detonationen alle Scheiben. "Wir versorgen die Bewohner mit Folien, damit wenigstens Fenster und Türen verschlossen werden können", so der Bürgermeister. Er rät davon ab, jetzt wieder nach Bashtanka zurückzukehren. Die Stadt sei noch immer Frontgebiet.
Tetiana will nun bei Freunden aus Bashtanka nachfragen, was aus dem Bäumchen geworden ist. Eines hat mir dieser Krieg brutal vor Augen geführt: Nette Symbole, gute Absichten, schöne Worte oder offene Briefe richten rein gar nichts aus gegen brutale Gewalt und menschenverachtende Kriegstreiberei. Wie sagt es Robert Habeck so treffend: "Pazifismus ist derzeit ein ferner Traum."
Jörg Dammann
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