"Wir werden Putin nicht verzeihen"
Wie eine junge Ukrainerin den russischen Überfall erlebte

Ukrainische Flüchtlinge warten an der polnischen Grenze , dass sie nach Polen einreisen dürfen | Foto: Unian Photobank
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jd. Mykolajiw. Die Menschen in Deutschland sollen sich keine Sorgen um die Ukrainer machen. Im Land herrsche keine Kriegsstimmung. Das berichtete Tetiana P. vor nicht einmal zwei Wochen dem WOCHENBLATT. Ein paar Tage später trat das ein, woran die junge Lehrerin aus dem Süden der Ukraine wie so viele ihrer Landsleute nicht geglaubt hat oder einfach nicht glauben wollte: Auf Geheiß des Kreml-Machthabers Putin griff die russische Armee das Nachbarland an. Das Unfassbare traf Tetiana und ihre kleine Familie genauso unvorbereitet wie viele andere Bewohner der südukrainischen Großstadt Mykolajiw.

Als der Einmarsch der russischen Streitkräfte als vergangenen Donnerstag begann, zeigte sich Tetiana zunächst entschlossen, mit ihrem Mann und der zweijährigen Tochter in Mykolajiw zu bleiben. „Wir müssen jetzt erst einmal einkaufen gehen und uns Lebensmittelvorräte zulegen“, berichtete sie. Danach wollten sie sich mit ihrem Auto in eine der langen Schlangen vor den Tankstellen einreihen. Mit ihrem Mann habe sie im Keller ihres Hauses ein kleines Gewölbe hergerichtet, um dort im Ernstfall Schutz zu suchen.

Doch bereits in der Nacht auf Freitag trafen heftige Luftschläge Mykolajiw. Ein Tanklager und ein Eisenbahndepot standen in Flammen. Auch ein nahegelegener Flugplatz war Ziel von Raketenangriffen. Zudem rückten russische Bodentruppen von der nur 140 Kilometer Luftlinie entfernten Krim vor. Mit Hubschraubern abgesetzte Einheiten der Invasoren griffen direkt im Stadtgebiet von Mykolajiw an, um strategisch wichtige Brücken über zwei Flüsse zu besetzen. Sie wurden aber zurückgeschlagen. 

Tetianas Wohnort Mykolajiw blieb in den vergangenen Tagen Kriegsschauplatz. Die russischen Invasoren sind inzwischen mit ihren Hauptstreitkräften an die nur 50 Kilometer von Mykolajiw entfernte Stadt Kherson am Dnepr herangerückt, sollen dort das Stadtgebiet eingekesselt haben.

Spuren des Krieges auf der Haupteinfallstraße von Mykolajiw: Ein verlassener russischer Panzer   | Foto: Ukraine 24/7
  • Spuren des Krieges auf der Haupteinfallstraße von Mykolajiw: Ein verlassener russischer Panzer
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Von Kherson aus gab es am Wochenende Vorstöße von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen nach Mykolajiw. Die Truppen drangen über die Hauptstraße in Richtung Innenstadt vor. Dort, wo drei Tage zuvor noch Menschen wie Tetiana friedlich einkaufen gingen, gab es heftige Kämpfe. Die Russen mussten sich aber zurückziehen. Einige russische Soldaten versuchten zu entkommen, indem sie einen Lieferwagen der Supermarktkette ATB kaperten. Die Spuren der Schlacht waren am Sonntag unübersehbar: Beschädigte Fassaden, zerbrochene Scheiben – und zerstörte russische Panzer. Über Mykolajiw wurde mittlerweile das Kriegsrecht verhängt. Es gibt eine nächtliche Ausgangssperre.

Tetiana ist mit ihrer Familie vorerst in Sicherheit | Foto: T.P.
  • Tetiana ist mit ihrer Familie vorerst in Sicherheit
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Inzwischen hat Tetiana gemeinsam mit ihrem Mann und der kleinen Tochter Mykolajiw verlassen. Sie sind in ihrer Heimatregion bei Tetianas Schwester untergekommen. Dort – nahe der 60.000-Einwohner-Stadt Perwomaisk – gab es bisher noch keine Kampfhandlungen. Tetiana zeigt sich schockiert: „Es ist schrecklich, was in den vergangenen Tagen in Mykolajiw passiert ist.“ Sie habe tatsächlich nicht damit gerechnet, dass Russland einen Krieg beginnt, räumt Tetiana ein. „Wir hatten auch gehofft, dass russische Truppen nicht nach Mykolajiw kommen. Deswegen sind wir so lange in unserem Haus geblieben."

„Momentan hat meine Familie genug Essen und alles Nötiges für unsere kleine Tochter“ berichtet Tetiana aus ihrem jetzigen Aufenthaltsort, der rund 120 Kilometer nördlich von Mykolajiw liegt. Mit Verwandten und Freuden stehe man weiter in Kontakt. „Wir telefonieren täglich.“ Große Sorgen mache sie sich um ihre Tochter. Es sei jetzt ihre wichtigste Aufgabe, sie zu beschützen. „Im Moment fühlen wir uns sicher. Dort, wo wir uns jetzt aufhalten, ist es sicher.“

Überreste russischer Militärfahrzeuge vor einem Modegeschäft an der Hauptstraße | Foto: Ukraine 24/7
  • Überreste russischer Militärfahrzeuge vor einem Modegeschäft an der Hauptstraße
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„Aber wir alle wissen nicht, was morgen passieren wird“, sagt Tetiana. Alle Menschen in der Ukraine seien in großer Angst. Dennoch sei die Hoffnung auf einen Frieden noch größer als die Angst. Aber selbst wenn die Russen sich zurückziehen würden: „Unser Land wird danach in einem schrecklichen Zustand sein. Die Infrastruktur muss neu aufgebaut werden und die Wirtschaft muss wieder auf die Beine kommen. Putin habe unmenschlich gehandelt. „Wir werden ihm nie verzeihen.“

Tetiana bedankt sich für die Solidaritätsbekundungen: „Vielen Dank an alle Menschen in Deutschland, die uns unterstützen. Das ist immens wichtig für uns Ukrainer.“

(Der Artikel basiert auf Berichten und Meldungen unabhängiger, nicht-staatlicher Quellen direkt aus der Ukraine.)

Das Kanonenrohr eines russischen Panzers flog bei der Explosion durch die Luft, als der Panzer getroffen wurde | Foto: Ukraine 24/7
  • Das Kanonenrohr eines russischen Panzers flog bei der Explosion durch die Luft, als der Panzer getroffen wurde
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