AKW Stade ging am 14. November 2003 vom Netz
Vor 20 Jahren: Grüne feierten AKW-Abschalt-Party im Stadeum
"Freude bei den Atomkraftgegnern, lange Gesichter bei den 320 Mitarbeitern": So begann vor 20 Jahren der WOCHENBLATT-Bericht über die endgültige Abschaltung des Kernkraftwerks Stade. Kurz zuvor hatte der damalige Betreiber E.ON den genauen Termin festgesetzt, wann das AKW vom Netz geht: am 14. November 2003. Stade war der erste bundesdeutsche Atommeiler, der nach dem sogenannten ersten Atomkonsens zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und der Energiewirtschaft seinen Betrieb einstellte. Für die Grünen war das AKW-Aus ein Grund zum Feiern: Die Öko-Partei richtete in Stade eine Abschalt-Party aus.
Günstiger Strom als "Rohstoff" für die Dow
Nachdenkliche Stimmen gab es damals aber auch: "Wenn es Deutschland nicht gelingt, eine zukunftsfähige Energiepolitik zu betreiben, wird die Dow in Stade nicht durchhalten", zitierte das WOCHENBLATT den damaligen Dow-Werksleiter Manfred Aumann. Dieser Satz hat heute noch Gültigkeit. Angesichts der jetzigen Energiekrise, vor allem hervorgerufen durch den russischen Überfall auf die Ukraine, sind Aumanns warnende Worte aktueller denn je. Strom sei für das Stader Dow-Werk mit seiner Chlorproduktion geradezu ein "Rohstoff". Eine erhebliche Verteuerung des Strompreises könne er angesichts weltweiter Konkurrenz beim Mutterkonzern in den USA nicht vermitteln, so Aumann. Jetzt, 20 Jahre später, geht es wieder um die zu hohen Kosten für energieintensive Unternehmen: Der umstrittene Industriestrompreis sollte Dow und Co. retten. Herausgekommen ist ein "Strompreispaketchen", das ein paar Ermäßigungen für Firmen mit besonders hohem Energieverbrauch bietet (siehe dazu unten den Kommentar von Stades Landrat Kai Seefried).
Sorge um die Zukunft des Industriestandortes Stade
Dow-Manager Aumann äußerte seine Befürchtungen im November 2003 bei einer Gegenveranstaltung der CDU zur grünen Abschalt-Party. Die Christdemokraten hatten zu einer Podiumsdiskussion geladen - als "Beitrag zur Sicherung des Energie- und Industriestandortes" Stade, hieß es seinerzeit im WOCHENBLATT. Auch hier die Analogie zu heute: Ganz aktuell geht es wieder um die Zukunft des Standortes Stade. Unter Federführung der Wirtschaftsförderung des Landkreises soll ein Entwicklungskonzept erarbeitet werden, um den weiteren Bestand der Chemieindustrie zu sichern - auch vor dem Hintergrund der Energiewende. Bei der Auftaktveranstaltung für dieses Modellprojekt vor einem Monat erklärte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD): "Die Energiepreise müssen runter." Das gleiche Thema also wie vor 20 Jahren, wenn auch unter veränderten Vorzeichen.
Beste Laune bei den Grünen
Freude statt Frust herrschte im November 2003 bei den Grünen: Bundes-Umweltminister Jürgen Trittin und Co-Parteichefin Angelika Beer waren eigens nach Stade gekommen, um mit den Grünen aus den norddeutschen Landesverbänden im Stadeum unter dem Motto "Grün wirkt - Stade steigt aus" die AKW-Abschaltung zu feiern. Die Hansestadt sei endgültig eine "AKW-freie Zone". Trittin zog damals im WOCHENBLATT Bilanz: In 31 Betriebsjahren des Stader AKW seien 550 Tonnen an abgebrannten Brennstäben zusammengekommen. Mit seiner Prognose behielt Trittin recht: "Wir werden als Gesellschaft noch viel damit zu tun haben, mit dem uns hinterlassenen Erbe umzugehen." Bekanntlich gibt es in Deutschland noch immer kein Endlager für die hochradioaktiven Hinterlassenschaften des Atomzeitalters. Die Brennelemente des Stader Atommeilers wurden nach dessen Abschaltung zunächst in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague gebracht.
Atommüll lagert auf dem Kraftwerksgelände
Die weniger stark strahlenden Abfälle des Stader AKW hingegen bleiben bis auf Weiteres vor Ort. Die Spezialbehälter mit dem atomaren Müll lagern unter der Aufsicht der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) in einer eigens für diesen Zweck errichteten Halle auf dem Kraftwerksgelände. Sie sollen in den "Schacht Konrad" kommen, wenn dieser ab 2030 seinen Betrieb als Endlager für schwach- und mittelradioaktiver Abfälle aufnimmt. Bei den Gebäuden des Stader Kernkraftwerkes läuft weiter der Rückbau, der nach Angaben von PreussenElektra - so heißt die E.ON Kernkraft GmbH seit der Umbenennung im Jahr 2016 - bis 2026 abgeschlossen sein soll.
Ursprünglich hieß es, dass der Rückbau schon bis 2015 erledigt sein wird. Am Ende soll im wahrsten Sinne des Wortes Gras über alles gewachsen sein. PreussenElektra verwendete in der Vergangenheit immer wieder den Begriff des "Rückbaus bis zur grünen Wiese". Inzwischen soll der Stromkonzern aber Gespräche führen über eine mögliche industrielle Nutzung des direkt an der Elbe gelegenen Geländes. Denkbar wäre die Produktion erneuerbarer Energien wie etwa Wasserstoff.
So bewertet Landrat Kai Seefried (CDU) den "Strompakt"
Der Landrat hat den Vorsitz bei der Projektgruppe inne, die ein Zukunftskonzept zur Sicherung des Chemiestandortes Stade erarbeiten soll. Das WOCHENBLATT hat ihn darum gebeten, aus dieser Sichtweise heraus eine Stellungnahme zum Strompreispaket der Bundesregierung abzugeben, mit dem Unternehmen bei den Stromkosten entlastet werden sollen.
„Ich begrüße es, dass über den ‚Strompakt‘ Handwerk und Mittelstand entlastet werden. Das ist ein gutes und richtiges Signal. Allerdings hilft dieser ‚Strompakt‘ der energieintensiven Industrie, wie unseren Unternehmen auf Bützflethersand, nicht“, sagt Seefried in einer ersten Reaktion. „Die Beschlüsse in Berlin sind damit keine Antwort auf die Probleme, die wir zur Zukunft unseres Chemiestandortes in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich diskutiert und adressiert haben.“
Alleine am Standort in Stade geht es um rund 10.000 Arbeitsplätze, die von einer verlässlichen und preisgünstigen Energieversorgung abhängig sind. „Es steht viel auf dem Spiel“, betont Seefried. Die Industrie in Bützflethersand stehe für Wohlstand und Entwicklung der gesamten Region. „Wir benötigen nach wie vor eine Lösung für die energieintensive Industrie, die Betriebe dürfen bei der Transformation der Energieversorgung nicht alleine gelassen werden“, sagt Seefried. „Es geht um nichts Geringeres als um die Frage, ob Deutschland zukünftig noch ein Industriestandort ist.“ Seefried bleibt bei seiner Forderung nach vergünstigten und damit wettbewerbsfähigen Strom- und Gaspreisen für die Industrie.
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