Landkreis Harburg:
6.600 Haushalte noch immer ohne schnelles Internet

August 2023: Bunte Kabel ragen aus dem Boden. Inzwischen wurde für sie ein Verteilerkasten aufgestellt, ohne dass die Anwohner ans Glasfasernetz angeschlossen worden wären | Foto: pöp
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  • August 2023: Bunte Kabel ragen aus dem Boden. Inzwischen wurde für sie ein Verteilerkasten aufgestellt, ohne dass die Anwohner ans Glasfasernetz angeschlossen worden wären
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Im Herbst liefen schon EWE-Tarif-Verkäufer von Tür zu Tür, sodass manch ein Bürger Hoffnung hatte, dass er bald den schon 2021 versprochenen Glasfaseranschluss für schnelles Internet bekommt. Denn selbst im großstadtnahen Landkreis Harburg gibt es noch immer viele Gebiete ohne schnelles Internet: Auch die 6.600 Haushalte in den sogenannten "Ausbaufördergebieten" oder "weißen Flecken" auf der Glasfaserkarte haben noch keinen schnellen Zugang - obwohl der Ausbau dort sogar staatlich gefördert wird. Der Landkreis Harburg gibt inzwischen zu: Es gibt "deutliche Verzögerungen beim Breitbandausbau" und "aktuell keinen Termin" zur Freischaltung der schon für 2022 versprochenen Glasfaseranschlüsse.

Beispiel Seevetal-Ramelsloh

Beispiel Seevetal-Ramelsloh: Auf dem dünn besiedelten "Horn" mit großen Grundstücken und langen Leitungen wollte kein Unternehmen auf eigene Rechnung Glasfaserkabel verlegen. Viel Bauaufwand stand wenigen möglichen Kunden gegenüber. So sprang - hier wie in den übrigen "weißen Flecken" - der Landkreis mit staatlichem Fördergeld ein und beauftragte vor Jahren die Firma Kuhlmann Leitungsbau GmbH & Co. KG mit den erforderlichen Arbeiten.

Tatsächlich rückten dann immer mal wieder Unternehmen an - mit mehr oder weniger ramponierten Lieferwagen, meist ohne Firmenaufdruck - und gruben die Straße auf, verlegen bunte Kabel und montierten Hausverteiler, die niemals angeschlossen wurden. Dann verschwanden sie wieder. Offenbar waren dies von Kuhlmann beauftragte Subunternehmen, die aber keine akzeptablen Ergebnisse ablieferten. Ergebnis: Die 6.600 Weiße-Flecken-Haushalte im Landkreis haben vier Jahre später noch immer kein schnelles Internet. Lediglich die 25 Schulen wurden angeschlossen.

EWE nur Netzpächter und Betreiber

Wer ist schuld an diesem Desaster? Anders als viele denken, kann auch die EWE Tel GmbH an den Problemen mit den "weißen Flecken" aktuell nichts ändern: Sie ist später als Netzpächter für den Betrieb und die Wartung des Netzes verantwortlich, nicht aber für den Bau. Laut Landkreis liegt die Verantwortung bei der Firma Kuhlmann: Es gebe "erhebliche Schwierigkeiten mit dem Tiefbau" hatte der Landkreis schon im vergangenen September mitgeteilt, und daran hat sich offenbar bisher nichts geändert.

Inzwischen gibt man beim Landkreis zu: Wann die Arbeiten für den Breitbandausbau abgeschlossen werden können, steht in den Sternen. „Wir bedauern es ausdrücklich, den Interessierten keinen festen Termin zur Freischaltung ihrer neuen Glasfaseranschlüsse mitteilen zu können“, sagt Landrat Rainer Rempe. „Derzeit erhalten wir vom Tiefbauunternehmen keine verbindliche Aussage, bis wann die vergebenen Leistungen erbracht werden können.“

Zeitplan schon lange überschritten

Soviel steht fest: Der Zeitplan, den Kuhlmann im Rahmen des Vergabeverfahrens vorgelegt hatte, ist schon längst überschritten. "Wie häufig bei Tiefbauvorhaben gab es zunächst immer wieder einzelne Verzögerungen, beispielsweise durch Probleme bei der Genehmigungseinholung, der Querung von Autobahnen und Gewässern oder auch die eine oder andere schwierige Lage in einigen Straßenzügen", berichtet Kreissprecher Andres Wulfes. "Außerdem hatte es zuvor bereits Verzögerungen aufgrund von Corona, des Ukraine-Krieges, unterbrochener Lieferketten, unzureichender Materiallieferungen sowie Personalengpässen gegeben."

Um die genauen Gründe für die deutliche Verlängerung der Bauzeiten zu ermitteln, fänden noch immer intensive Gespräche statt, teilte Landkreissprecher Wulfes mit. Hat der Landkreis seit September weitergehende Maßnahmen ergriffen? "Die Gespräche laufen noch", sagt Wulfes. "Dazu kann ich nichts sagen." Ob es Vertragsstrafen geben wird, ein anderes Unternehmen beauftragt wird und wie der Landkreis finanziell aus dem Kuhlmann-Deal herauskommt - alles offen. „Wir bedauern die Situation sehr und arbeiten mit Hochdruck daran, dass das Projekt zu einem guten Ende kommt“, sagt der zuständige Abteilungsleiter beim Landkreis, Alexander Stark.

Haustür-Verkäufer von EWE unterwegs

Unangenehm für die Bürger: Die EWE ist inzwischen schonmal vorgeprescht und hatte Verträge über Datentarife abgeschlossen, wo es noch gar keine Leitungen gab. „Wir standen dieses Jahr guter Dinge schon parat und sind in die aktive Akquise von Kunden gegangen. Leider können wir nun nicht liefern, obwohl wir an den Verzögerungen nur zu einem kleinen Teil selbst verantwortlich sind“, gibt ein EWE-Sprecher zu.

Hintergrund

In Glasfaser-Ausbaugebieten, in denen Telekommunikationsunternehmen nach dem teuren Ausbau keine großen Gewinne durch viele Tarifverträge zu erwarten haben - z.B. durch dünne Besiedelung oder schwierige Erschließung - sprang der Landkreis Harburg zusammen mit 25 Gemeinden als Auftraggeber für den Netzausbau ein. Schon 2016 waren diese Landkreis-Ausbaugebiete nach einem sogenannten "Markterkundungsverfahren" festgelegt worden. Das Ziel: die sogenannten "weißen Flecken" im Kreisgebiet zu beseitigen, in denen bisher kein Internetzugang mit einer Geschwindigkeit von 30 MBit/s im Download verfügbar war. 6.600 Haushalte sind davon betroffen.

Zahlen und Fakten

520 Kilometer Leerrohre hat der Landkreis für den Glasfaser-Netzausbau in den Ausbau-Fördergebieten verlegen lassen. 34 Millionen Euro sollte der Netzausbau insgesamt kosten. Die Hälfte davon übernimmt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Projektträger des Bundesförderprogramms ist die aconium GmbH. Zusätzlich wird das Projekt über die NBank finanziert, die einen Zuschuss des Landes Niedersachsen von 7 Millionen Euro bereitstellt. Die verbleibenden Kosten tragen der Landkreis Harburg und die Kooperationsgemeinden gemeinsam.

Netzbetreiber ist EWE

Wer im Ausbaugebiet wohnt oder dort sein Unternehmen hat, kann über die EWE-Webseite, die EWE-Shops oder die Glasfaser-Hotline unter Tel. 0441 35081100 einen Anschluss beantragen. Das geht ausschließlich über die EWE Tel GmbH, da diese die europaweite Ausschreibung als Netzpächter des Landkreises Harburg gewonnen hat.

Das Netz des Landkreises wurde allerdings im sogenannten "Open Access" errichtet und auch andere Anbieter können es nach Fertigstellung nutzen, brauchen dafür aber einen Netzwerkdurchleitungsvertrag mit der EWE Tel GmbH. Wer also einen anderen Netzbetreiber für seinen Anschluss wünscht, sollte sich bei diesem erkundigen, ob der einen Durchleitungsvertrag mit der EWE Tel GmbH abgeschlossen hat oder dies noch tun will.

"Die weißen sind die schwarzen Flecken"
Teil zwei der Serie "Glasfaser": Förderung
August 2023: Bunte Kabel ragen aus dem Boden. Inzwischen wurde für sie ein Verteilerkasten aufgestellt, ohne dass die Anwohner ans Glasfasernetz angeschlossen worden wären | Foto: pöp
Ramponierte Baken und herumliegende Kabelenden - im Sommer 2023 ein verbreitetes Bild in vielen staatlich geförderten Ausbaugebieten | Foto: pöp
Mai 2024 an der Ecke Horner Straße/ Hasselhöhe in Ramelsloh: Immerhin wurde ein Verteilerkasten aufgestellt, doch der stand wochenlang offen. Die Kabel waren nicht angeschlossen. | Foto: pöp