Politik zum Anfassen
Ministerpräsident Weil im Austausch mit Winsener Bürgern

- Ministerpräsident zum Anfassen: Stephan Weil setzte sich zeitweise Mitten ins Publikum
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Gut eine Woche vor der Bundestagswahl hatte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil in Winsen eine besondere Botschaft: Politik zum Anfassen. Im Rahmen des Formats "Auf ein Wort" lud Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler (SPD) zu einer offenen Diskussion mit dem Landeschef in die Stadthalle ein. Rund 100 Bürgerinnen und Bürger folgten der Einladung, stellten Fragen auf Bierdeckeln und erlebten eine Dialogrunde, die von Svenja Stadler moderiert wurde. Doch statt am Rednerpult zu bleiben, suchte Weil die Nähe zum Publikum. Er setzte sich mitten unter die Zuhörenden und nahm sich Zeit für jeden Beitrag.
Die Veranstaltung drehte sich um zentrale Themen, die die Menschen in Niedersachsen bewegen: von der schleppenden Infrastrukturentwicklung über die Herausforderungen im Bildungssystem bis hin zu erneuerbaren Energien und Sicherheit. Doch es war nicht nur die Vielfalt der Themen, die beeindruckte, sondern auch die Art und Weise, wie der Ministerpräsident auf die Anliegen einging – sachlich, aber mit einer Prise persönlicher Erfahrung.
Ein leidenschaftlicher Wunsch: die A39
Gleich zu Beginn wurde die lange verzögerte Autobahn A39 angesprochen. Weil schilderte seinen eigenen Frust, als er von Wolfsburg nach Winsen anreiste und auf die Landstraßen ausweichen musste. "Ich hätte sehr gerne die A39 genutzt, aber sie ist eben noch nicht fertig", erklärte er. Mit Nachdruck betonte er die Bedeutung des Projekts, auch wenn Klagen und Planungsverfahren den Fortschritt erschweren. Sein Wunsch: "Ich hoffe, dass ich es noch erlebe, die A39 auf der Strecke zwischen Wolfsburg und Lüneburg in Gänze zu befahren."
Bildung: Mehr Lehrer, aber nicht in Vollzeit
Auch die Schulpolitik stand hoch im Kurs. Weil stellte klar: "Noch nie hatten wir so viele Lehrkräfte in Niedersachsen wie heute." Doch viele von ihnen arbeiteten in Teilzeit, was die Unterrichtsversorgung erschwere. Hinzu kämen neue Herausforderungen im Lehrerberuf, da pädagogische Aufgaben immer mehr Raum einnehmen. Er plädierte dafür, digitale und politische Bildung zu stärken, um junge Menschen besser auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. "Es ist unsere Aufgabe, sie zu befähigen, Fake News zu erkennen und sicher in der digitalen Welt zu navigieren."
Social Media und der politische Diskurs
Ein Blick auf die sozialen Medien offenbarte, wo Weil Handlungsbedarf sieht. Er kritisierte die Oberflächlichkeit von Plattformen wie TikTok, die politische Inhalte oft auf wenige Sekunden reduzieren. "Die AfD hat hier Vorteile, weil sie massiv investiert. Die SPD muss ihre Strategien anpassen, um in diesem Bereich stärker wahrgenommen zu werden." Er forderte auch mehr Verantwortung von den Plattformbetreibern.
Gesundheitssystem: Prävention und Entlastung
Die Situation in Krankenhäusern und die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sind für Weil ebenfalls dringende Baustellen. Er begrüßte die Landarztquote, die Medizinstudierende verpflichtet, später in unterversorgten Gebieten zu arbeiten. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung von Prävention und ambulanten Angeboten, um das Gesundheitssystem zu entlasten. "Wir brauchen mehr medizinische Versorgungszentren, die bürokratische Aufgaben übernehmen und den Ärzten den Rücken freihalten."
Erneuerbare Energien und Akzeptanz
Beim Thema Klimaschutz hob Weil hervor, wie wichtig Bürgerbeteiligung ist. "Kommunen müssen von den Einnahmen profitieren und Anwohner in Entscheidungen einbinden." Nur so könne die Akzeptanz für Windkraft- und Solarprojekte erhöht werden. Zudem sei die Versorgungssicherheit eine Priorität, die es durch den Ausbau erneuerbarer Energien zu sichern gelte.
Verkehr und Wohnen: Dringende Baustellen
Die Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr ist eines der drängendsten Themen in der Region. Besonders die Verbindung nach Hamburg und Hannover sorgt für Unmut unter den Pendlern. "Die Voraussetzungen sind theoretisch gegeben, praktisch aber nicht," erklärte Stephan Weil und verwies auf mehrere Hindernisse: Fachkräftemangel, veraltete Strecken und Züge sowie eine insgesamt unzureichende Kapazität. Pendlerinnen und Pendler beklagen seit Langem überfüllte Züge und unzuverlässige Fahrpläne, gerade zu Stoßzeiten. Der Ministerpräsident betonte die Notwendigkeit massiver Investitionen, um diese Probleme zu lösen, und forderte einen schnelleren Ausbau der Kapazitäten, insbesondere Richtung Hamburg.
Auch Richtung Süden, nach Hannover, sei die Situation unbefriedigend. Der Hauptbahnhof in Hannover stelle ein Nadelöhr dar, das durch geplante Bauarbeiten entlastet werden soll. "Das ist eine prioritäre Aufgabe, bei der wir keine Zeit verlieren dürfen," so Weil. Neben der Verbesserung der Infrastruktur müsse auch der Fachkräftemangel bei Lokführern und Bahnpersonal angegangen werden, um den Nahverkehr langfristig zu stabilisieren.
Beim Thema Wohnungsbau erinnerte Weil daran, dass die schwarz-gelbe Regierung in der Vergangenheit rund 35.000 Wohnungen privatisiert hat. Dies mache die Rückgewinnung von Belegungsrechten nun teuer und kompliziert. "Wir müssen langfristige Strategien entwickeln, um den sozialen Wohnungsbau wieder zu stärken," sagte er. Gleichzeitig sei es wichtig, Kommunen stärker zu unterstützen, damit sie bezahlbaren Wohnraum schaffen können.
Sicherheit in unsicheren Zeiten
Die Sorgen um Sicherheit angesichts aktueller Anschläge nahm Weil ernst. Er sprach sich gegen Grenzschließungen aus, plädierte stattdessen für moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz, um Gefährder frühzeitig zu identifizieren. "Es geht darum, schneller zu reagieren und gezielt für Sicherheit zu sorgen."
Eine Botschaft der Zuversicht
Am Ende der Diskussion betonte Weil, dass es trotz der großen Herausforderungen klare Lösungsansätze und Perspektiven gebe. "Die Themen sind vielfältig und anspruchsvoll, aber sie lassen sich mit einem entschlossenen Handeln und gutem Willen angehen." Die Veranstaltung verdeutlichte, wie wichtig der Austausch zwischen Politik und Bürgern ist, um gemeinsam Lösungen zu finden und Vertrauen zu schaffen.
Redakteur:Anika Werner aus Winsen |
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