Landkreis Harburg: Schäfer schlägt Alarm
Gibt es bald keine Schäfer mehr?
![Schäfer mit ganzem Herzen: Wendelin Schmücker aus Winsen-Borstel | Foto: Schmücker](https://media04.kreiszeitung-wochenblatt.de/article/2023/01/10/6/547146_L.jpg?1673596476)
- Schäfer mit ganzem Herzen: Wendelin Schmücker aus Winsen-Borstel
- Foto: Schmücker
- hochgeladen von Gabriele Poepleu
Eigentlich hat Schäfer Wendelin Schmücker gerade alle Hände voll zu tun: Die Lämmer kommen jetzt zur Welt, gerade gab es eine - bei Schafen ungewöhnliche - Drillingsgeburt, erzählt der Winsener Schäfer noch etwas atemlos. Schmücker ist bis zu 20 Stunden am Stück im Stall bei seinen 670 Tieren. Rund 1.000 Lämmer erwartet er. Aber ihm brennt das Thema unter den Nägeln: Der deutsche Schäfer droht auszusterben.
Schmücker kennt sich aus. Er ist nicht nur Inhaber einer von zwei verbliebenen Berufsschäfereien im Landkreis Harburg, er ist auch Vorsitzender des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung. Zuletzt machte er Schlagzeilen, weil er einen Waffenschein zur Verteidigung seiner Tiere einklagen wollte - vergebens (das WOCHENBLATT berichtete. Denn der Wolf wird zunehmend zum Problem für die Schäfer. Was Schmücker jetzt vor allem umtreibt: Es gibt kaum Nachwuchs. Das Berufsschäfertum droht auszusterben: In Deutschland gibt es noch 950 Berufsschäfereien, davon 100 in Niedersachsen, zwei im Landkreis Harburg. Die Hälfte der Betriebsinhaber ist über 50 Jahre, wird in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen.
Ist die Lage bei der Ausbildung wirklich so dramatisch? "Tierwirt mit Schwerpunkt Schafhaltung" lernen deutschlandweit im ersten Lehrjahr gerade mal 28 junge Menschen, in Niedersachsen sind es noch vier. Eine von ihnen ist Schmückers Tochter Maike. 800 Euro brutto bekommt sie als Ausbildungsvergütung, bei auswärtiger Unterbringung im Ausbildungsbetrieb gehen dann noch Kost und Logis ab. "Dann bleiben nur noch 300 Euro. Damit kann man bei einer 48-Stunden-Woche kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken", sagt Schmücker. Seine andere Tochter lernt im Büro, mit 1.000 Euro Ausbildungsvergütung im ersten Jahr bei angenehmen Arbeitszeiten, ohne Nachtschichten im Stall bei den Schafen. Ein weiteres Problem sind lange Wege und teure Unterbringung bei weit entfernten Berufsschulen: Es gibt nur noch zwei in Deutschland, in Halle in Sachsen-Anhalt und im bayerischen Triesdorf.
Aber mehr zahlen könnten die Schäfer auch nicht, sagt Schmücker, denn mit dem Beruf sei kaum noch etwas zu verdienen. So sind die Preise für ein Kilogramm Schaffleisch im vergangenen Jahr von vier auf drei Euro gesunken, bei steigenden Getreide- und Fertigfutterkosten. Deutschland importiere 58 Prozent des benötigten Schaffleisches aus dem billigeren Ausland. Und der Wollverkauf lohne sich schon gar nicht mehr: Für ein Kilo Wolle gebe es auf dem Markt fünf bis 15 Cent. Ein Schaf liefert rund drei Kilo Wolle, der Schafscherer nimmt aber schon zirka 3,50 Euro pro Schaf - ein Zusatzgeschäft. Die Wolle von Schmückers Schwarzkopf-Fleischschafen lässt sich höchstens zu Fußmatten oder Filzmatten verarbeiten, sagt er: Die Wolle für Kleidung werde aus Asien importiert, wo man sie billiger produzieren kann. "Hier geht das schon deshalb nicht, weil wir aufgrund klimatischer Unterschiede und Spezialisierung viele verschiedene Rassen haben."
Für die meisten Schäfer geht es ohne Zuverdienst aus Naturschutz und Deichpflege nicht. Dass es immer mehr Wölfe in Deutschland gibt, ist da auch nicht hilfreich. "Der Herdenschutz stößt an Grenzen", sagt Schmücker, "Herden werden zum Beispiel trotz Herdenschutzhunden angegriffen." Die Schäfer fordern ein "aktives Wolfsmanagement", will sagen: Es sollen Wölfe abgeschossen werden. Derzeit geht das aus Naturschutzgründen nicht.
Schmücker selbst hat insofern Glück, als er Eigenland besitzt, auf dem er zusätzlich eine Fotovoltaik-Anlage betreibt. "Aber wenn sich nicht schnell etwas ändert, sterben die Schäfer aus." Vor allem die Wanderschäferei scheint am Ende. Das kann sichtbare ökologische Folgen haben, denn die Schafe betreiben nicht zuletzt Landschaftspflege. In der Heide halten sie die Heideflächen offen, verbreiten als "Samentaxi" Wildpflanzen. Und sie sind wichtig für die Deichsicherheit, halten die Grasnarbe kurz, treten die Deichdecke fest und verdrängen Wühlmäuse.
Wie könnte man die Schäfer retten? "Ach, da müsste vieles anders werden", sagt Wendelin Schmücker, "Uns wäre schon geholfen, wenn es nicht ganz so viel Bürokratie gäbe." Das Bestandsregister immer aktuell halten, aufwändige Agrarförderungsanträge, verlorene Ohrmarken neu organisieren - all das koste ihn mindestens zehn Stunden wöchentlich. Und die würde er lieber mit der Versorgung der Tiere verbringen. Und: "Wir bräuchten einen Mindestpreis beim Schaffleisch", sagt Schmücker, "Aber hier ist es wie überall: Einige große verarbeitende Unternehmen diktieren billige Preise." Helfen würde auch, wenn die EU Schafwolle als "nachwachsenden Rohstoff" anerkennen würde. Dann könnte man damit etwas anfangen, zum Beispiel Pflanzendünger herstellen, statt wegen angeblicher Fettbelastung durch das Lanolin einen Riesenaufwand schon beim Transport betreiben zu müssen.
![Schäfer mit ganzem Herzen: Wendelin Schmücker aus Winsen-Borstel | Foto: Schmücker](https://media04.kreiszeitung-wochenblatt.de/article/2023/01/10/6/547146_L.jpg?1673596476)
![Schmückers Sohn Lutz freut sich über die niedlichen Lämmer | Foto: Schmücker](https://media04.kreiszeitung-wochenblatt.de/article/2023/01/10/9/547149_L.jpg?1673518887)
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