Landkreis Harburg
Gebühr ist keine Lösung für Entlastung der Notaufnahmen
Diese Aussage von Kassenärzte-Chef Andreas Gassen schlug ein wie der Blitz: Patienten, die künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung die Notaufnahme aufsuchen, sollen eine Gebühr von 50 Euro bezahlen. Schließlich würden Patienten ohne "echten" Notfall die Kräfte in den Notaufnahmen binden und Geld kosten. Das WOCHENBLATT fragte bei Dr. Christian Pott, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Buchholz, nach.
Notfallstrukturen außerhalb der
Krankenhäuser sind unzureichend
Er erläutert: "Die zentralen Notaufnahmen sind außerordentlich belastete Brennpunkte in den Häusern. Die Probleme sind in der aktuellen Diskussion immer wieder angesprochen worden: Die Verlässlichkeit der Notfallstrukturen außerhalb der Krankenhäuser ist unzureichend, Termine bei niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten gibt es zeitnah nicht, die Kranken sind bezüglich der Frage ,Was ist gefährlich?' verunsichert."
Mehr Menschen in Notaufnahmen
als stationär behandlungspflichtig sind
Als Ergebnis sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Zentralen Notaufnahmen viel mehr Menschen, als stationär behandlungspflichtig sind. "Wir sind immer das letzte Auffangbecken und wollen es auch sein! Dazu kommt für uns dann Personalmangel (ärztlich, pflegerisch, Funktionsdienst). Darüber hinaus erfolgt die ambulante Tätigkeit in Krankenhäusern unter dem Qualitäts- und Vollständigkeitsanspruch eines Krankenhauses, was von unseren Patienten ausdrücklich gewünscht und erwartet wird. Dafür wird sie jedoch zu schlecht vergütet. Das führt bei großer Belastung des Personals gleichzeitig zu finanziellen Verlusten", sagt Dr. Pott.
Durchschnittlich 80
Patienten am Tag
In den Zentralen Notaufnahmen der beiden Krankenhäuser würden durchschnittlich 80 Patienten pro Tag vorstellig, an einzelnen Tagen auch bis 120. Daraus resultierten Wartezeiten oft über vier Stunden, in Spitzenzeiten auch länger. "Von diesen Patienten nehmen wir deutlich unter 40 Prozent stationär auf (chirurgisch unter 20 Prozent, internistisch zwischen 35 und 45 Prozent). Im Endeffekt sind also über 50 Prozent der Patienten in den Zentralen Notaufnahmen der Krankenhäuser 'falsch'“, erklärt Pott.
Zur Einschätzung der stationären Behandlungsbedürftigkeit gebe es „Abfragesysteme“, die z.B. von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Notfall-Telefonzentralen (116117) benutzt werden.
Dr. Christian Pott erläutert, welche Patienten mit welchen Symptomen zum Beispiel unbedingt ins Krankenhaus gehören:
- Beschwerden, die auf Herzinfarkt oder Schlaganfall hindeuten,
- Fieber mit Bewusstseinsstörungen und andere unerklärliche und neu aufgetretene Bewusstseinsstörungen,
- schwerwiegende Bauchschmerzen,
- neu aufgetretene Atemnot.
Nicht ins Krankenhaus gehörten all die Beschwerden, bei denen die Erkrankten sowieso schon wissen, dass sie nicht stationär aufgenommen werden wollen:
- chronische Kopf-, Rücken-, Bauchschmerzen,
- „banale“ Infekte der Atemwege, der Harnwege oder des Magen-Darm-Trakts.
Vor allem seien die Krankenhäuser nicht darauf eingerichtet, fachärztliche Untersuchungen zu leisten, für die Patienten und Hausärzte keine schnelle ambulante Facharztversorgung finden.
"Zur Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit, zur angemessenen Höhe, zur Umsetzbarkeit und zu den Risiken einer Notaufnahmegebühr mag ich mich nicht äußern. Nach Erfahrungen der Zusatzgebühr, die vor Jahren bereits zeitweise für Krankenhausbehandlungen erhoben wurde, wissen wir aber, dass der Aufwand der Erhebung höher war als die erhobenen Beträge. Auf jeden Fall löst eine Gebühr nicht die Schwächen der bestehenden Versorgungsstrukturen, einschließlich der Vergütungsprobleme der Notfallbehandlung", resümiert der Ärztliche Direktor.
Umdenken in der Gesundheitspolitik ist notwendig
Wer schon einmal abends oder an Wochenenden Atemnot, undefinierbare Beklemmungen mit Brustschmerzen oder heftigste Magenbeschwerden hatte, weiß, wie wichtig es ist, möglichst schnell Linderung und Klarheit über den eigenen Gesundheitszustand zu bekommen.
In den 1970er Jahren war es ein Leichtes, für solche Notfälle den eigenen Haus-, Fach- oder Kinderarzt zu erreichen. Doch diese Kompetenzen sind insbesondere auf dem Lande inzwischen rar gesät. Und das liegt u.a. an der in den 1990er Jahren unter dem damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) eingeführten Bedarfsplanung. Diese legt fest, wie viele Ärzte in einem bestimmten räumlichen Bereich („Planungsbereich“) tätig sein dürfen, gemessen am Verhältnis Ärzte pro Einwohner. Die Bedarfsplanung wird von den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung erstellt, deren Chef nun die besagte Gebühr für Notaufnahmen fordert.
Diese „Bedarfsplanung“ berücksichtigt allerdings offenbar nicht die Überalterung der Bevölkerung und damit den zunehmenden Bedarf an fachärztlichen Leistungen. Auch hat diese Schreibtisch-Planung zur Folge, dass es im Landkreis Harburg für alle neuen Fachärzte eine Zulassungssperre gibt und dass ein Hausarzt – wenn es ihn überhaupt in der Nähe gibt - für rund 1.600 Patienten zuständig ist.
Hier ist dringend ein Umdenken und eine Reform der Gesundheitspolitik notwendig.
Projekt stadtlandpraxis
Umzumindest dem Hausäztemangel entgegenzuwirken, gibt es im Landkreis Harburg seit 2011 das Projekt stadtlandpraxis mit finanziellen Anreizen für junge Medizinstudierende, später als Hausarzt im Landkreis zu praktizieren oder sich niederzulassen. Der Landkreis fördert z.B. die Niederlassung mit einer Anschubfinanzierung für eine Vollzeitstelle mit 24.000 Euro und die Anstellung eines Arztes mit 12.000 Euro und vergibt auch Stipendien (500 Euro) für Weiterbildungen zum Facharzt.
Ergebnis: 57 Ärzte haben sich niedergelassen oder arbeiten als angestellte Ärzte, neun Assistenten sind in Weiterbildung an den Krankenhäusern Buchholz und Winsen, 24 Assistenten in Weiterbildung in Praxen.
Was der Ärztliche Direktor des Elbe Klinikums im Landkreis Stade sagt:
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