Altersarmut: Flaschensammeln für frisches Obst
WOCHENBLATT-Leser reden über Not im Alter Klartext / Kritik an Politik und Bürokratie
tk. Landkreis. Der Senior aus dem Kreis Stade hat 45 Jahre gearbeitet. Heute zieht er fast jeden Morgen los, um Pfandflaschen zu sammeln. "Damit ich mir auch mal frisches Obst kaufen kann", erzählt er dem WOCHENBLATT. Der Grund fürs Flaschensammeln: Der Mann, der noch aktiv und mobil ist, lebt in einem Pflegeheim und bekommt trotz seiner normalen Rente nur 70 Euro Taschengeld im Monat. Davon muss er Telefon, Kleidung und den Frisörbesuch bezahlen. "Ich bin daher gezwungen, mich morgens früh auf den Weg zu machen", sagt er.
Das ist nur eine von mehreren Leserreaktionen zum Thema Altersarmut. Was die Leserinnen und Leser berichten, zeigt sehr deutlich: Armut im Alter hat viele Facetten. Es gibt Kritik an bürokratischen Hürden und an der Politik, die sich bei denen bedient, die lebenslang in die Rentenkasse eingezahlt haben. So wie der 85-jährige Senior im Altenheim: Weil er eine zusätzliche Unfallrente bezieht, wurde ihm die reguläre Rente gekürzt. Um früher 500 Mark, also heute 250 Euro. "Hätte ich diese Summe, ginge es mir finanziell doch richtig gut", sagt der Mann.
In mehreren Zuschriften und Anrufen beklagen ältere Menschen, dass ihnen der Staat Geld wegnimmt. Eine Leserin aus Buchholz berichtet, dass sie Zeit ihres Lebens darauf geachtet hat, genug in die Rentenkasse einzuzahlen. "Andere Menschen, die für ihre Arbeit bar bezahlt worden sind, hatten damals mehr als ich", erinnert sie sich. Was sie maßlos ärgert: Obwohl nicht mega-vermögend, muss sie jedes Jahr rund 2.000 Euro Steuern bezahlen.
Ein anderer WOCHENBLATT-Leser geht mit der Politik hart ins Gericht. "Früher gab es 70 Prozent vom letzten Nettogehalt. Jetzt wird das Rentenniveau immer mehr abgesenkt." So sei seine Betriebsrente bei der Rentenreform im Jahr 2004 unter Kanzler Gerhard Schröder um 62 Euro gekürzt worden und die Krankenkassenbeiträge wurden doppelt - also auf zwei Renten - erhoben. "Das nenne ich Diebstahl", sagt der Mann.
Worauf mehrere Leserinnen und Leser hingewiesen haben: Rentner, die gerade so über die Runden kommen, werden zum Zuhause bleiben gezwungen, weil öffentliche Verkehrsmittel viel zu teuer sind. Und eine Leserin schreibt, dass Altersarmut ein "großer, dumpfer und dunkler Teufelskreis" ist.
Auch auf der WOCHENBLATT-Facebook-Seite (www.facebook.com/KreiszeitungWochenblatt) wurde das Thema Altersarmut diskutiert: Eigentlich sei das deutsche Rentensystem, "das Beste, das es gibt", schreibt ein User. Das Problem sei, dass viele Berufsgruppen nicht in diese Kassen einzahlen würden. Am Ende könne nur das verteilt werden, was vorhanden sei. Vorschlag, wenn alle Berufsgruppen einzahlen: eine Einheitsrente von 1.400 Euro. "Reiche können privat vorsorgen und Arme können in Würde leben", so der User.
In einer ausführlichen Mail berichtet Manfred Westphal von seinen Erfahrungen. Er hilft seit einigen Monaten einem 74-jährigen Hamburger, der Pflegegrad 1 hat, zu 60 Prozent schwerbehindert ist und von Grundsicherung lebt. Westphal kritisiert widersprüchliche Gesetze und Vorschriften, zu viel Bürokratie und Ansprechpartner bei Pflegekasse und Medizinischem Dienst, die desinteressiert seien und mitunter "von oben herab" handeln. "Nur mit hartnäckigem Nachfassen und Widersprüchen" habe er etwas erreichen können. Beispiele: Monatlich zwölf Euro für die Sozialstation fürs Abholen und Bringen von Medikamenten werden jetzt erstattet, ein Notrufknopf ohne langwieriges Antragsverfahren genehmigt, ein Mahlzeitenzuschuss wegen Diabetes, ein altersgerechtes Bett und zwei Mal pro Woche eine dringend notwendige Hilfe im Haushalt gewährt.
Bei einem pauschalen Nein am Telefon habe Westphal jedes Mal eine schriftliche Begründung für die abschlägige Entscheidung gefordert. Erst dann seien manche Stellen endlich offiziell tätig geworden, hat er beobachtet.
Hinzu käme ein unglaubliches Durcheinander. Beispiel: Innerhalb der Pflegeversicherung, schreibt Manfred Westphal, würden Anträge auf Toilettenaufsätze und Toilettenstühle getrennt in verschiedenen Städten von unterschiedlichen Mitarbeitern bearbeitet.
Und weiter: Der Antrag bei der Krankenkasse auf Befreiung von der Zuzahlung kann an drei unterschiedliche Adressen gesendet werden. "Vielleicht ist es ja gewollt, dass Anspruchsberechtigte an diesem Wirrwarr verzweifeln", sagt Westphal. "Vielleicht ist das Wirrwarr gewollt"
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