Jesteburg: Rasheed Mohamed ist angekommen
Arbeit, Wohnung, Frieden

Ein bisschen wie Familie: Seit fast zehn Jahren unterstützt Christa Weitendorf Rasheed Mohamed | Foto: pöp
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Niemand wollte die Container vor der Haustür oder in der Nähe haben: Als in Jesteburg neue Wohncontainer für Geflüchtete aus den Krisengebieten der Welt aufgestellt werden sollten, zeigte sich viel Misstrauen. Doch schon seit dem Eintreffen der ersten großen Gruppe von Flüchtlingen Ende 2014 gibt es in Jesteburg auch viel Engagement, um Geflüchteten das Einleben zu erleichtern. Rasheed Mohamed aus dem Sudan und Christa Weitendorf aus Jesteburg sind ein Beispiel dafür, wie Integration mit ein bisschen Hilfe gelingen kann.

Ein integriertes Mitglied der Gesellschaf

Der 30-Jährige Mohamed hat inzwischen geschafft, wovon die meisten Geflüchteten nur träumen können, und was auch ihm nicht in die Wiege gelegt wurde, sondern große Anstrengungen erforderte: Er bestand seinen Hauptschulabschluss, machte eine Ausbildung zum Fachlageristen, hat einen Vollzeit-Job im Indoor-Spielplatz Rabatzz in Hamburg und einen Nebenjob bei McDonald's, und er bezog gerade eine kleine Wohnung in Buchholz - ein nützliches und voll integriertes Mitglied der Gesellschaft. Er zahlt regelmäßig Steuern und in alle Sozialversicherungen. "Das war alles nur mit Christas Hilfe möglich", sagt Mohamed beim Hausbesuch in sehr gutem Deutsch. "Sie hat mir beim Deutschlernen geholfen, bei den Hausaufgaben, und sie hat mich immer wieder motiviert und ist auch heute noch für mich da, wenn ich Unterstützung brauche. Sie ist ein bisschen wie Familie."

Andere Kulturen kennen lernen 

Die heute 81-Jährige Christa Weitendorf lacht. "Man hat auch selbst etwas davon, lernt viel über andere Kulturen, ihre Vor- und Nachteile. Rasheed ist inzwischen wie ein Sohn für mich." Sie sieht auch die Vorteile der sudanesischen Kultur. Zum Beispiel? "Die Menschen sind innerhalb der Familie wirklich füreinander da", sagt sie, "Sie übernehmen das, was hier der Sozialstaat macht, und uns ist viel davon verlorengegangen."

Rasheed Mohamed heißt eigentlich Rasheed Mohamed Dawud Aly - zu lang für jedes deutsche Klingelschild, aber ganz normal in seiner Heimat: Da stehen die Nachnamen des Vaters und des Großvaters hinter dem eigenen Namen. Er stammt aus einer ländlichen Gegend in Darfur, wo seine Eltern heute - wieder - leben. Doch die friedliche Kindheit war kurz: Als in Darfur 2003 der Krieg ausbrach, war Rasheed Mohamed zehn Jahre alt und besuchte gerade die vierte Klasse, hatte eben neben der Sprache seines Stammes - davon gibt es über 100 im Sudan - die Amtssprache Arabisch und ein wenig Englisch gelernt. Die Familie musste flüchten, lebte in einem Flüchtlingscamp. "Dort hatte ich Unterricht, vor allem in Englisch", erinnert er sich. Doch wie eine Schule sei das nicht gewesen.

Eine lange Reise

Rasheed Mohamed ist jetzt schon lange von zuhause weg: Ende 2014 kam er als 21-Jähriger mit einem mit 86 Personen überfüllten Drei-Meter-Schlauchboot über das Mittelmeer nach Europa. Der morsche Holzboden ging unterwegs kaputt, das Boot drohte zu sinken, Rasheed Mohammed hatte Todesangst, das merkt man ihm noch heute an. "Wir wurden von einem türkischen Öltanker gerettet und nach Italien gebracht", erinnert er sich. "Das werde ich nie vergessen." Von dort ging es mit der Bahn über damals offene Grenzen nach Deutschland, erst nach Braunschweig, dann wurde er nach Jesteburg geschickt - in Sicherheit.

Leben in Containern

Rasheed Mohamed landete zusammen mit anderen jungen Männern aus aller Welt in der Containerunterbringung am Sandbarg. "Damals gab es noch keine staatlich organisierten Deutschkurse, wir mussten improvisieren und uns alles selbst zusammensuchen", erinnert sich Christa Weitendorf, die lange in Großbritannien Grundschul- und später Deutschlehrerin gewesen war und den Geflüchteten jetzt beim Deutschlernen helfen wollte. "Ich hatte durch meinen Aufenthalt in England selbst erlebt, wie schlimm es sein kann, irgendwo fremd zu sein", erinnert sie sich. Damals in den 1960ern sei man den Deutschen oft noch sehr feindselig gegenübergetreten. Als ein Vorgesetzter einmal zu ihr sagte, "Ach, sie sind blond, sie gehen als Schwedin durch", habe das geschmerzt.

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Deutsch lernen

Deutsch lernen ist für Geflüchtete das Wichtigste, findet sie, und Mohamed stimmt lebhaft zu. "Nur so kann ich mit meinen Mitmenschen in Kontakt treten." Und einen Beruf erlernen. "Seit ich arbeite, geht es mit 1.000-mal besser", sagt er. Und meint damit nicht nur das Geld, mit dem er seinen Lebensunterhat bestreitet. "Ich bin dann unter Menschen, und das tut mir gut." Aber der Weg dahin war - trotz Unterstützung - nicht leicht.

Unbefristete Aufenthaltsgenehmigung

Seit 2020 hat Rasheed Muhamed eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Dass er die ersten Anhörungsverfahren gut gemeistert hat, ist auch Christa Weitendorf zu verdanken. "Viele der jungen Leute hatten sehr große Angst davor, denn das ist die entscheidende Anhörung. Ich durfte damals nach Braunschweig mitfahren, durfte aber im Verfahren nichts sagen." Aber sie gab Sicherheit, zu Christa hatte Rasheed Mohamed, der von Behörden und staatlichen Einrichtungen in seiner Heimat nicht viel Gutes erfahren hatte, Vertrauen.

Der Schulabschluss

Brigitte Landvogt, damals Inhaberin des Rabatzz, kannte ihn von der Arbeit, meldete ihn bei der Volkshochschule in Maschen zum Hauptschulabschluss an. "Sie hat das auch bezahlt, dafür bin ich sehr dankbar", sagt Mohamed. Dann war büffeln angesagt: sechs Stunden Unterricht plus Hausaufgaben. Ein Problem: die schlechte Busverbindung zwischen Jesteburg und Maschen. Mohamed brauchte jeweils zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück. "Manchmal hat Christa mich von der Schule abgeholt, damit wir mehr Zeit fürs Lernen hatten." Elf bis zwölf Stunden war er täglich unterwegs. "Das war eine harte Zeit, aber es hat sich gelohnt", sagt Mohamed. Schon nach acht Monaten Unterricht schaffte er den Abschluss - mit der Gesamtnote 3.

Die erste Lehre als Maurer bei einem Bauunternehmen brach er trotzdem ab. "Die Berufsschule war zu schwer", sagt er. Denn sein Chef hatte bei der Berufsschule erwirkt, dass seine Auszubildenden auch im ersten Lehrjahr schon arbeiten und Geld verdienen können, statt - wie üblich - im ersten Jahr nur zur Schule zu gehen. Dafür gab es aber keine besondere Klasse. Auch Rasheed Mohamed musste gleich in die zweite Berufsschulklasse einsteigen. "Da klaffte eine zu große Lücke, vor allem in Mathe", sagt er. "Und das Wetter war schon im Herbst fürchterlich", erinnert sich Christa Weitendorf. "Das hätte ich schon überstanden", sagt Mohamed. Ihm ist das heute noch unangenehm.

Die Lehre

Doch der zweite Versuch bei der Ostfriesischen Tee-Gesellschaft OTG klappte. Nach erfolgreicher Lehre als Fachlagerist wurde er übernommen, wechselte vor einem Jahr in Vollzeit zum Rabatzz, wo er für die Warenwirtschaft, für Bestellungen und Organisation zuständig ist. "Ich arbeite viel mit den Kindern dort, so kann ich mein Deutsch noch verbessern", sagt Mohamed. Auch seine Freunde aus der Flüchtlingsunterkunft in Jesteburg stehen zumeist in Lohn und Brot: Viele arbeiten bei Amazon, sind dort auch sehr zufrieden. Freund Nazir arbeitet inzwischen als Bäckergeselle in Hannover. "Er liebt diese Arbeit", sagt Christa Weitendorf. "Das weiß ich, weil er mich gerade besucht hat."

Wieder Gewalt: Ehefrau in Gefahr

Obwohl Mohamed in Deutschland gut angekommen ist, fehlt noch ein Stück zum Glück: Seit November ist er verheiratet. Seine Frau lernte Deutsch, wollte eigentlich im Frühjahr zu ihm nach Buchholz kommen. Doch dann kam nach den kaum beigelegten Unruhen der vergangenen Jahrzehnte - ein neuer Krieg im Sudan: Seit April bekämpfen sich dort - vor allem in der Hauptstadt Khartum, wo Mohameds Frau bei ihrer Familie lebt, Truppen der Militär-Übergangsregierung und Truppen anderer Militärführer. "Es gibt Schießereien auf offener Straße", sagt Mohamed.

"Mein Schwiegervater besitzt zwar ein Auto, mit dem sie flüchten könnten, aber das ist viel zu gefährlich, weil die Milizen wahllos auf alle Autos schießen, weil sich darin Gegner verstecken könnten." Selbst der Gang zum Supermarkt ist nicht mehr möglich, sagt er. Die gesamte Infrastruktur ist zusammengebrochen: Es gibt weder Polizei noch Möglichkeiten, sich zu versorgen. Botschaften, Behörden, Banken sind geschlossen, Lebensmittelgeschäfte geplündert, das Online-Banking funktioniert nicht mehr, es wird kein Bargeld mehr ausgezahlt.

Rund 20.000 Strafgefangene, darunter viele Schwerverbrecher, wurden auf freien Fuß gesetzt und ziehen raubend durch die Städte. "Ich mache mir wirklich ernsthafte Sorgen", sagt Rasheed Mohamed, "Aber ich kann von hier aus nichts tun." Jeden Tag gibt es bange Minuten, bis er seine Frau am Telefon erreicht hat. "Ohne die Ablenkung durch meine Arbeit wäre diese Ungewissheit unerträglich."

Redakteur:

Gabriele Poepleu aus Jesteburg

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