Große Flut von 1962
60 Jahre Sturmflut - WOCHENBLATT-Leser erinnern sich
(as/sla). Diverse Deichbrüche, Überschwemmungen bis ins Hinterland und insgesamt 340 Tote: Die Sturmflut am 16. Februar 1962 traf die Menschen mit voller Wucht. 60 Jahre ist es her, dass Norddeutschland von den Wassermassen überflutet wurde. Die Katastrophe verursachte in Niedersachsen Schäden in Höhe von 285 Millionen Euro. Auch die Landkreise Harburg und Stade sowie die Hansestadt Hamburg waren betroffen.
Auslöser der Sturmflut war der Orkan "Vincinette", der in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar auf die Nordseeküste traf. Durch tagelangen auflandigen Wind hatten sich Millionen Kubikmeter Wasser in der Elbmündung gestaut. Der Sturm drückte die Wassermassen die Elbe hinauf. Das aufgelaufene Hochwasser konnte bei Ebbe nicht mehr aus der Elbe und ihren Nebenflüssen abfließen, die Deiche hielten dem Druck schließlich nicht mehr stand und brachen. Im Kreis Harburg starben bei der Sturmflut vier Menschen.
Deutlich härter wurde der Landkreis Stade von der Sturmflut getroffen: Zehn Menschen starben in den Fluten. Besonders schlimme Verheerungen richtete die Sturmflut im Südkehdinger Land an. Hier wurden in vielen Ortschaften die Deiche kilometerweit überspült. In Stade stand die gesamte Altstadt unter Wasser.
"Draußen schwammen die Autos vorbei"
An die große Flut von 1962 erinnert sich WOCHENBLATT-Leser Wolfgang Schulze aus Hanstedt (Landkreis Harburg) noch genau: Vor 60 Jahren war er zwölf Jahre alt und wohnte in Hamburg-Veddel:
"Unsere Wohnung lag im dritten Stock über der Eckkneipe 'Schnack' - die heute 'Zonck' heißt. Unsere Fenster gingen zum 'Veddeler Damm' hinaus. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 wachte ich auf und sah nach meinen Eltern. Sie standen mitten in der Nacht am Fenster, blickten hinunter auf den 'Veddeler Damm'. Ich ging ans Fenster, sah ebenfalls hinaus und erschrak: Draußen schwammen die Autos vorbei!
Am 18. Februar bin ich dann mit meinem Vater auf dem 'Trockenboden' (da konnte man seine Wäsche trocknen, gibt's heute nicht mehr, oder?!) über eine Leiter durch die Dachluke auf das Dach des Hauses geklettert, über das Dach parallel zur Straße 'Am Gleise' bis zur Dachluke über dem Eingang eines Nachbarhauses gegangen, nur dort konnten wir dann nach draußen gelangen. In unserem eigenen Hauseingang stand das Wasser noch über einen Meter hoch. Die Straße 'Am Gleise' weist von der Nr. 40, wo wir wohnten, bis zur Nr. 32 einen deutlichen Anstieg auf, bei Nr. 32 war es also trocken. Grund für diesen Ausflug war insbesondere: Wir benötigten dringend Kohlen für unseren Ofen, unser Keller mit den Kohlen lag natürlich genau wie das Erdgeschoss immer noch unter Wasser!"
"Dat Woder kummt över"
Günter Borchers hat die Sturmflut 1962 als Elfjähriger mit seinen Eltern in Drestedt auf der Geest erlebt. "Zwar gab es bei uns kein Wasser, das über die Deiche schwappte, aber in unserer Region wütete der Orkan 'Vincinette' mit peitschenden Regen", schreibt Günther Borches in seinem Buch "Dat Woder kummt över". Die Gewalt des Sturms deckte Dächer ab, Fensterscheiben zerbrachen. Gewässer wie Elbe und Este traten über die Ufer. Die Stromversorgung brach zusammen. Das gewaltige Ausmaß der Katastrophe wurde erst am nächsten Tag bekannt.
Eine Ausstellung brachte ihn im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag der Flutkatastrophe auf die Idee für seine Foto-Dokumentation. Die Bilder wurden ihm zum Großteil von Betroffenen aus dem Landkreis Stade zur Verfügung gestellt. Nicht selten seien während der Gespräche die alten Emotionen wieder wach geworden. Angespornt durch die positive Reaktion auf sein erstes Stumflutbuch erstellte er einen zweiten Band: "Die vergessene Flut vom 3. Januar 1976 in Kehdingen".
Findelkind gerettet
Der Vater von WOCHENBLATT-Leser Frank Kettwig war während der Sturmflut 1962 beim Bundesgrenzschutz. Während seine Frau Lydia und sein kleiner Sohn Frank ohne Strom und ohne Möglichkeit, Nachrichten zu hören, Zuhause ausharrten, war Gert Kettwig mit seinen Kollegen in Hamburg und Umgebung im Einsatz, um Menschen zu retten.
Im Steller Ortsteil Achterdeich durchsuchter Gert überflutete und verlassene Häuser, dabei entdeckter er ein weinendes Baby, das in seinem Körbchen im Wasser trieb. Der Säugling war unverletzt. Gert nahm es in seinem LKW mit und versuchte eine Unterkunft für das Baby zu finden. Erst nach langen Suchen und mit einem energischen Auftritt konnte er einen Gastwirt in Stelle überzeugen, das Findelkind an sich zu nehmen. Dann verliert sich die Spur in den Wirren der Sturmflut. Es war immer sein Wunsch zu erfahren, was aus dem Findelkind geworden ist. Vermutlich war es ein Junge der heute um die 60 Jahre alt sein müsste.
An die auswärtigen Helfer verleiht die Stadt Hamburg später eine vom Senat gestiftete Dankmedaille. Mit Rücksicht auf die hanseatische Tradition, keine Medaillen oder Orden anzunehmen, bekommen die Hamburger Bürger und Angehörige der Hamburger Feuerwehren stattdessen ein Gedenkbuch. So auch Gert Kettwig, dessen Sohn dieses Buch noch heute in Ehren hält.
Redakteur:Anke Settekorn aus Jesteburg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.