Prozessauftakt gegen Clan-Mitglied
Stader Messermord: Tumultartige Szenen vor dem Gericht
Prozessauftakt im Stader Messermord-Prozess: Am heutigen Dienstagvormittag (5. November) begann vor dem Landgericht Stade die Verhandlung gegen den 34-jährigen Mustafa M. aus Buchholz. Dem Angehörigen des arabischen Familienclans der Miri wird vorgeworfen, am 22. März auf offener Straße Khaled R., ein Stader Mitglied des El-Zein-Clans, niedergestochen zu haben. Das Opfer erlag einen Tag später seiner Stichverletzung im Kopf. Die Anklage lautet auf Körperverletzung in Tateinheit mit Mord.
Langwierige Kontrollen
Der Prozessbeginn vor der 1. Großen Strafkammer war für 10.15 Uhr angesetzt, startete aber mit mehr als anderthalbstündiger Verspätung. Grund waren die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen. Alle Besucher mussten eine Sicherheitsschleuse passieren, Zuschauer und Pressevertreter wurden abgetastet und auf gefährliche Gegenstände durchsucht. Außerdem wurden Kopien der Personalausweise angefertigt. Allerdings erwies sich dieses Prozedere als äußerst zeitintensiv. Es wurde immer nur eine Person in das Gerichtsgebäude eingelassen. Wären mehr Justizbedienstete vor Ort gewesen, hätten die Kontrollen sicherlich zügiger abgewickelt werden können. So dauerte es allein eine Stunde, bis die 23 Sitze im Zuschauerraum besetzt waren.
Kein Obst und keine Eier im Gerichtssaal
Der Vorsitzende Richter Eric Paarmann hatte im Vorfeld eine 14-seitige sogenannte "sitzungspolizeiliche Verfügung" erlassen, in der akribisch aufgelistet wurde, was alles während des Prozesses verboten ist und welche "zur Störung der Hauptverhandlung geeignete Gegenstände" nicht mitgeführt werden dürfen. Auf der Verbotsliste standen u.a. Trillerpfeifen, Schirme und Streichhölzer sowie "potentielle Wurfgegenstände" wie Flaschen, Dosen, Bücher, Obst, Eier oder Kugelschreiber. Flugblätter und Transparente waren ebenso verboten wie eine Vollverschleierung. Selbst die Pressevertreter mussten Handys und Laptops abgeben - und sogar die Smartwatch musste abgelegt werden.
Polizei riegelte Straße ab
Ebenfalls aus Sicherheitsgründen ging es nicht durch den Haupteingang zum Gerichtssaal. Pressevertreter und Zuhörer - dabei handelte es sich durchweg um Mitglieder der jeweiligen arabischen Großfamilien - mussten sich gemeinsam vor dem Seiteneingang in der Ritterstraße anstellen. Die Straße war zu beiden Seiten von der Polizei abgeriegelt. Polizeiautos patrouillierten durch die Straße der Stader Altstadt. Für den Ernstfall standen mehrere Mannschaftswagen bereit, in denen sich Polizisten in voller Einsatzmontur und schusssicheren Westen befanden.
Aufgeheizte Stimmung vor der Tür
Vor dem Nebeneingang herrschten zeitweise tumultartige Szenen, als die Angehörigen der beiden Familienclans aufeinander trafen. Frauen mit Kopftüchern kreischten und zeterten, Männer brüllten. Man beschimpfte und drohte sich gegenseitig auf Arabisch. Mittendrin in dieser eskalierenden Situation befanden sich die Journalisten - angesichts der aufgeheizten Stimmung immer in Sorge, von einem der Clan-Mitglieder attackiert zu werden. Eine Frau versuchte sogar, dem Autor dieser Zeilen das Smartphone aus der Hand zu schlagen.
Journalisten mitten im Pulk
Die Polizei sah dem Geschehen nur tatenlos zu und bemühte sich gar nicht erst, die streitenden Gruppen voneinander zu trennen. Die Beamten baten zwischendurch lediglich die jeweiligen Clan-Oberhäupter, mäßigend auf ihre Familien einzuwirken. Diese Bemühungen hatten allerdings nur begrenzten Erfolg. Mehrere Medienvertreter äußerten ihren Unmut über die Situation. Es wurde Kritik an der mangelnden Organisation laut. Beispielsweise wurde der Wunsch der Journalisten, getrennt von den Clan-Angehörigen in das Gerichtsgebäude hineingelassen zu werden, ausgeschlagen. "Ich berichte schon seit 30 Jahren über Prozesse, aber so etwas wie hier am Stader Landgericht habe ich noch nie erlebt. Selbst bei Verfahren nach Terroranschlägen wird anderswo zügiger kontrolliert", kommentierte ein gestandener Gerichtsreporter die Zustände.
Verteidiger: "Bin doch kein Trottel"
Letztlich dauerten das Warten auf Einlass und die anschließenden Sicherheitskontrollen an diesem Vormittag länger als das Gerichtsverfahren selbst. Das war nach dem Verlesen der Anklageschrift und einem Geplänkel zwischen Richter Paarmann und dem Verteidiger Dr. Dirk Meinecke bereits nach einer knappen Stunde wieder beendet. Meinecke war zuvor angesichts der langen Warterei auf den Prozessbeginn der Kragen geplatzt. Mit den Worten "ich bin hier doch nicht der Trottel" verließ er den Gerichtssaal und ging mit seiner Kollegin Dina Busse Kaffeetrinken. Als der Prozess endlich begonnen hatte, beschwerte sich Meinecke, dass das Gericht die Verteidigung wie Schuljungen habe warten lassen.
Als um 11.45 Uhr der Angeklagte in den Gerichtssaal geführt wurde, erhob sich im Zuschauerraum erneut ein Gekreische. Wieder waren es die Frauen, die am lautesten zeterten. Die Mutter und die Witwe des mutmaßlichen Mordopfers stießen Beschimpfungen aus. Ein Justizbeamter ermahnte schließlich die Anwesenden im Zuschauerraum, keine "weiteren Äußerungen zu tätigen und Drohungen auszusprechen - auch nicht auf Arabisch". Dem Angeklagten saßen im Gerichtssaal die beiden Brüder des Getöteten gegenüber. Sie sind im Prozess Nebenkläger und werden durch die Anwälte Lorenz Hünnemeyer und Rainer Mertins vertreten.
Brutale Messerattacke
Bei der Verlesung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft wurde noch einmal die ganze Brutalität dieser Messerattacke deutlich. Dem arglosen Opfer wurde auf offener Straße am Rande einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern beider Familienclans und in Anwesenheit von Polizisten von hinten ein großes Messer oberhalb des linken Ohres so weit in den Kopf gerammt, dass es bis ins Stammhirn eindrang. Das Messer blieb im Kopf stecken und das Opfer wurde in diesem Zustand ins Krankenhaus gebracht. Dort war schnell klar, dass Khaled R. sofort verstorben wäre, wenn man das Messer herausgezogen hätte. Einen Tag später wurden die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet. Der Verletzungen im Stammhirn waren so schwer, dass es keine Überlebenschance gab. "Das Messer blieb zur Obduktion im Kopf des Getöteten", so die Staatsanwältin.
Shisha-Krieg zwischen den Clans
Hintergrund der tödlichen Auseinandersetzung war der sogenannte Shisha-Krieg zwischen den Miris und den El-Zeins. Es gab einen Streit wegen der die Neueröffnung eines Shisha-Ladens in Buchholz durch einen Verwandten der Stader El-Zeins, die in Stade ein Shisha-Geschäft betreiben. Der neue Laden in Buchholz war den dortigen Miris ein Dorn im Auge, zumal die El-Zeins ihren neuen Laden intensiv in den sozialen Medien bewarben. Nach einem sogenannten "Friedenstreffen" schien der Streit zunächst beigelegt zu sein. Doch dann drehten die Miris den Spieß um und dehnten den Konflikt auf Stade aus: Sie boten nun auch in ihrem Sportgeschäft nahe des Stader Fischmarktes Shisha-Zubehör und -Tabak an und rührten ebenfalls die Werbetrommel.
Tödlicher Ausgang des Streits
Diese Sortimentserweiterung empfanden die Stader El-Zeins als Provokation. Sie stürmten am 22. März das Stader Sportgeschäft der Miris und attackierten die Anwesenden mit Teleskop-Schlagstöcken, Baseballschlägern und Pfefferspray. Die Miri-Mitglieder verteidigten sich, in dem die Shishas aus ihrem Laden als Wurfgeschosse verwendeten. Angehörigen des Miri-Clans eilten daraufhin mit ihren hochmotorisierten Autos zum Wohnhaus von Khalid R. im Altländer Viertel, wo der Streit weiter eskalierte. Es folgten wilde Verfolgungsjagden und weitere Prügeleien - Szenen, die an einen drittklassigen Actionfilm erinnern. Und mittendrin die Polizei, die sich bemühte, die Streithähne zur Räson zu bringen. Selbst der Einsatz von Pfefferspray war erfolglos. An der Straße "Beim Salztor" kam es zum "Showdown": Nach einem absichtlichen herbeigeführten Autocrash gingen die Konkurrenten aufeinander los. Am Ende griff der Angeklagte sein Opfer hinterrücks mit dem Messer an und stach zu - mit einem "Vernichtungswillen gegen das Opfer", wie es die Staatsanwaltschaft formuliert.
Der Prozess wird in der kommenden Woche an zwei Verhandlungstagen (Mittwoch, 13. November, und Freitag, 15. November) jeweils um 9.30 Uhr fortgesetzt. Insgesamt sind bis Anfang Februar 16 Verhandlungstage anberaumt.
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