Verruchtes Kiez-Ambiente im Stader Schwedenspeicher
Das legendäre St.-Pauli-Museum erhält in Stade ein Asyl auf Zeit
jd. Stade. Diese Ausstellung wird über die Region hinaus Beachtung finden: Am Samstag wurde im Stader Schwedenspeicher-Museum die bis Mitte März laufende Sonderschau "Das St.-Pauli-Museum zu Gast in Stade" eröffnet. Gezeigt werden Exponate aus dem sündigen Hamburger Stadtviertel, die der bekannte Kiez-Fotograf Günter Zint über Jahrzehnte für sein legendäres Museum zusammengetragen hat. Nach dem vorläufigen Aus für das St.-Pauli-Museum im Herbst 2020 besteht nun die Chance, zahlreiche interessante Stücke aus Zints umfangreichem Fundus zu bestaunen. Kurz vor der Ausstellungseröffnung traf sich das WOCHENBLATT vor Ort mit Zint, der vor allem wegen seiner Fotos von den Musikern des Starclubs wie den Beatles oder Jimi Hendrix, aber auch von den Studentenprotesten und der Anti-Atom-Bewegung einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat.
Zint spricht von einem Glücksfall, dass er eine Auswahl seiner Ausstellungsstücke jetzt in Stade präsentieren darf. "Ich kann den Stader Kulturchef Dr. Andreas Schäfer und Museumsleiter Dr. Sebastian Möllers nicht oft genug dafür loben, dass sie mir Asyl gewähren und die Möglichkeit geben, mit dem Museum wieder Präsenz zu zeigen." Das 1991 gegründete St.-Pauli-Museum hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Wiederholt musste es den Standort wechseln. Bis Anfang 2020 befand sich Zints Museum direkt neben der Davidwache. Nach einem erneuten Umzug kam Corona und damit zunächst das Ende. Zahlreiche Gegenstände aus dem Museum sind jetzt u.a. auf einem alten Bauernhof in Behrste eingelagert, den Zint mit Freunden bewohnt.
Für die Ausstellung wurde im Schwedenspeicher noch bis zum letzten Tag gebohrt und getackert, um die Exponate zu montieren und die Gegenstände so zu drapieren, dass die Besucher stilecht die Atmosphäre des früheren St.-Paulis-Milieus vermittelt bekommen. - aus einer Zeit, wo auf dem Kiez noch jeder jeden kannte und es selbst in den einschlägigen Etablissements fast familiär zuging.
Dabei hat jedes dieser "Sahnestücke", wie Zint sie nennt, seine ganz eigene Geschichte - und Zint weiß sie zu erzählen. Er hat auf St. Pauli nicht nur einzigartige Fotos geschossen, die einen ganz persönlichen Blick auf diesen so lange verpönten Stadtteil und seine Menschen vermitteln. Zint hat auch vieles vor der Zerstörung gerettet, was exemplarisch für das frühere Leben auf dem Kiez steht. Dazu zählen etwa eine Starclub-Leuchtreklame, die Deko aus der guten Stube von Deutschlands bekanntester Sexarbeiterin Domenica oder das Telefunken-Radio, das die Beatles bei ihren Starclub-Auftritten backstage aufdrehten.
Wenn mal wieder ein Etablissement schloss, war Zint zur Stelle, um das eine oder andere Möbel zu retten. "Es gibt auf St. Pauli so gut wie keinen Abfallcontainer, den ich nicht durchwühlt habe", erzählt der Fotograf. So habe er aus einem Container beispielsweise massenhaft alte Fotos von Pico, dem legendären Kellner der ebenso legendären Bar "Zur Ritze" gerettet. Viele Exponate erhielt Zint auch über seinen guten Kontakt zum "König von St. Pauli", Willi Bartels. Der Hamburger Immobilienmogul hatte Ende der sechziger Jahre das "Eros Center" eröffnet, seinerzeit das größte Bordell der Welt.
Zint greift während des Rundgangs mit dem WOCHENBLATT-Reporter ins Regal und reißt ein vergilbtes Blatt von einem großen Block ab: "Das war ein Abrechnungsbogen für die Prostituierten im "Eros Center'". Darauf verzeichnet waren u.a. die Ausgaben wie Miete, Zimmerreinigung und Waschartikel. Es gab auch eine Rubrik "Treuhandgelder". "Das war das Geld von den Freiern, was die Mädchen sofort abliefern mussten", berichtet Zint. Zugriff darauf hätten nur die Zuhälter gehabt. Auch das "Eros Center" ist längst Geschichte. Es schloss 1989 seine Pforten.
Apropos Erotik: Zints erste und einzige Schallplatte wurde seinerzeit sofort beschlagnahmt - wegen unzüchtiger Darstellungen. Die Scheibe aus dem Jahr 1969 enthielt freche Sprüche vom berühmten Türsteher Schnulli und seinen Berufskollegen. Der Grund für den behördlichen Zugriff: Das Album war aufklappbar und zeigte beim Öffnen den weiblichen Intimbereich. Die LP wurde unter dem Label der "St. Pauli Nachrichten" herausgebracht. Für das von Zint gegründete Blatt war u.a. der spätere Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust als Redakteur tätig, bevor daraus eine reine Sex-Postille geworden ist.
• Wer jetzt Lust bekommen hat, mehr über das St.-Pauli-Museum im Stader Exil zu erfahren, kann sich unter www.museen-stade.de informieren. Dort finden sich auch Termine mit Ausstellungsrundgängen. Einige Rundgänge macht Zint auch persönlich - wie etwa am morgigen Sonntag, 14. November, um 15.30 Uhr.
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