Buddelnde Nager als "Deichkiller"
Nutrias: Eine Gefahr für die Deiche in den Kreisen Stade und Harburg
Es ist Oktober. Jetzt beginnt die Sturmflutsaison. Die Herbststürme lassen das Wasser gegen die Elbdeiche peitschen. In den vergangenen Jahren hielten die grünen Bollwerke immer stand. Doch den Deichen droht eine neue Gefahr, die auf den ersten Blick gar nicht sichtbar ist: Nutrias gefährden die Deichsicherheit. Die aus Südamerika stammenden Nager graben weit verzweigte Bauten in den Deichkörper. Das könnte gerade jetzt, wenn die Deiche den Sturmfluten trotzen müssen, fatale Folgen haben. Nicht auszudenken, wenn ein Deich dermaßen stark unterhöhlt ist, dass er bricht und sich das Wasser ins Binnenland ergießt. Experten warnen daher vor einer weiteren Zunahme der Nutria-Population. Im Interesse des Küstenschutzes müsse der buddelnde "Deichkiller" intensiv bejagt werden. In den Landkreisen Stade und Harburg geschieht dies mit Fallen. Damit lassen sich die nachtaktiven Nager am besten erwischen.
Rascher Anstieg der Population
Sie sind mit Schwanz bis zu einem Meter lang und können ein Gewicht von zwölf Kilogramm erreichen: Die Nutria, auch Biberratte oder Sumpfbiber genannt, gehört zu den invasiven Tierarten, die an der Küste und an den Flüssen besonders gefürchtet werden. Denn Nutrias können beachtliche Schäden anrichten, indem sie Gänge von einem Meter Durchmesser in Deiche und Uferböschungen buddeln. Das gefährdet die Deichsicherheit. Die Jagd auf die sich rasant vermehrenden Nager ist deshalb ein wichtiger Beitrag zum Küstenschutz. Laut dem Deutschen Jagdverband (DJV) wurden zuletzt 57-mal mehr Nutrias erlegt als noch vor 20 Jahren. Das zeigt, wie rasant die Population angestiegen ist - und welch eine Gefahr die Nutrias für die Deiche darstellen.
Tiere vermehren sich extrem
Gerade im Landkreis Stade, wo in den vergangenen Jahren hohe Sturmfluten gegen die Elbdeiche brandeten, blickt man mit Sorge auf steigende Zahlen bei den Nutrias. "Diese Tiere haben eine extrem hohe Vermehrungsrate", sagt Wilhelm Ulferts, Oberdeichrichter der Zweiten Meile Alten Landes und damit für den Deichschutz zwischen Lühe und Este zuständig. Nutrias seien bereits nach einem halben Jahr geschlechtsreif und können mindestens dreimal jährlich bis zu sechs Junge werfen.
Wurden vor zehn Jahren im gesamten Stader Kreisgebiet lediglich zwei Nutrias erlegt, waren es fünf Jahre darauf (2019) bereits 180 Exemplare. Danach sind die Zahlen nach oben geschnellt und seitdem kontinuierlich gestiegen: Im Jahr 2021 brachten die Jäger 567 Nutrias zur Strecke, 2022 waren es 581 Tiere und im vergangenen Jahr 635.
Im Landkreis Harburg sind die Zahlen sogar noch alarmierender: Dort erlegten die Jäger im Jagdjahr 2015/16 255 Nutrias. Fünf Jahre weiter (Jagdjahr 2020/21) hatte sich diese Zahl mit 1.135 getöteten Tieren bereits vervierfacht. Der letzte Streckenbericht 2023/24 der Kreisjägerschaft Harburg führt sogar 1.662 erlegte Nutrias auf.
Bauten schwer zu entdecken
Während die Nutrias im Landkreis Harburg besonders in der Elbmarsch Sorge bereiten, sind es im Landkreis Stade vor allem Kehdingen und in den letzten Jahren zunehmend das Alte Land. Was die Nutrias für den Küstenschutz so gefährlich macht - einige meinen, sogar gefährlicher als den Wolf -, ist ihre Buddelei im Verborgenen. "Die Höhleneingänge liegen meist unter Wasser und sind nur schwer zu entdecken", sagt Ulferts. Wenn ein Deich durch die unterirdischen Nutria-Bauten ausgehöhlt werde, stelle dies bei Sturmfluten eine erhebliche Schwachstelle dar. Die Nutria graben sich durch die Kleischicht bis zum Sandkern durch. Dort werde dann bei einer Flut das Wasser hineingespült und höhle den Deich aus - mit fatalen Folgen. Im schlimmsten Fall droht ein Deichbruch.
Zum Einsatz kommen Fallen
Doch die Bejagung der nachtaktiven Tiere ist gar nicht so einfach. Eingesetzt werden sogenannte Lebendfallen. Die Fallen sind komplett lichtdicht. "So bleiben die Nutria im Dunkeln ruhig in der Falle hocken", erläutert Ulferts. Ausgestattet sind die Fallen mit Sendern. Schnappt eine Falle zu, geht beim zuständigen Jäger eine Nachricht auf dem Handy ein. Das gefangene Tier wird dann gleich vor Ort erlegt. Als Köder dienen vorwiegend Apfelstücke. Aber auch Weingummis oder Gummibärchen haben sich laut Ulferts bewährt. Allerdings können Wochen vergehen, bis die Nutrias in eine aufgestellte Falle tappen.
Beide Landkreise haben inzwischen die Wichtigkeit der Nutria-Bejagung erkannt. Sie förderten in den vergangenen Jahren finanziell die Anschaffung der fast 200 Euro teuren Fallen. "Der Landkreis Harburg unterstützt die Jägerschaft mit 20.000 Euro im Jahr", berichtet Pressesprecher Andres Wulfes. Davon seien zuletzt 90 Fallen bezuschusst und 1.514 sogenannte Schwanzprämien von 6 Euro je getötetem Tier ausgezahlt worden.
Auch die Stader Jägerschaft hat sich mit Unterstützung des Landkreises 120 Fallen angeschafft. Die Fallenjagd kann aber auch Probleme mit sich bringen, wie sich in diesem Frühjahr gezeigt hat. Wie die Sprecherin der Stader Kreisjägerschaft, Julia Seefried, berichtet, mussten wegen des Hochwassers zahlreiche Fallen zeitweise abgebaut werden, da die digitalen Melder sehr empfindlich reagieren.
Aufgrund der starken Vermehrung wurde im Jahr 2018 der zuvor noch im niedersächsischen Jagdgesetz geltende Elterntierschutz aufgehoben. Im vergangenen Jahr plante das grün-geführte Landwirtschaftsministerium, die ganzjährige Jagdzeit für Nutria einzuschränken. Nach Protesten aus den Verbänden legte das Ministerium die Pläne ad acta. Bei der Verbandsanhörung wurde erneut betont, wie wichtig die Bejagung der Nutria für den Küsten- und Hochwasserschutz ist. (jd/bim)
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