Streitthema Windkraft in Lüllau
Initiative wehrt sich gegen Grünen-Vorwürfe

Mitglieder der Interessengemeinschaft "Erneuerbare Energien mit Verstand" Wolrad Christiansen (v.li.), Andreas Dänhardt, Jan Duggen, Michael Wüstefeld und Birgit Christiansen | Foto: pöp
  • Mitglieder der Interessengemeinschaft "Erneuerbare Energien mit Verstand" Wolrad Christiansen (v.li.), Andreas Dänhardt, Jan Duggen, Michael Wüstefeld und Birgit Christiansen
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Die Interessengemeinschaft IG Erneuerbare Energie mit Verstand, eine Bürgerinitiative aus Lüllau und Umgeburg gegen den dortigen Bau von Windkraftanlagen, wehrt sich: Die Jesteburger Grünen hatten der Initiative unter anderem vorgeworfen, nur aus eigennützigen Interessen Stimmung gegen Windkraftanlagen zu machen (das WOCHENBLATT berichtete). "Das stimmt einfach nicht", betonte jetzt Dr. Andreas Dänhardt.

Er und seine inzwischen etwa 40 Mitstreiter verfassten einen offenen Brief (siehe unten), in dem sie Stellung beziehen und noch einmal ihre Argumente gegen die Windräder anführen. "Zumindest für die Mitglieder unserer Interessengruppe können wir mit Sicherheit sagen, dass die Ablehnung von oder Zustimmung zu Windkraftanlagen an den drei diskutierten Standorten nicht von individuellen wirtschaftlichen Vorteilen abhängt. Naturschutz, Lebensqualität und Gesundheitsschutz nehmen für uns einen mindestens ebenso großen Raum ein", erklärt Dänhardt.

So wollen die Mitglieder der IG beispielsweise die Grünen-Aussage, es handele sich bei den Geräuschen lediglich um "Waldrauschen" so nicht stehen lassen: Menschen, die in der Nähe von Windkraftanlagen lebten, berichteten eher von "periodischem Wummern" als von Blätterrauschen. Dazu kämen Infraschall und Bodenerschütterugen.

Auch wären die Umweltverbände Bund und Nabu - entgegen der Grünen-Aussagen - zum Beispiel nicht mit der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Bundesnaturschutzgesetzes 2022 einverstanden gewesen, der Nabu habe deshalb sogar ein Rechtsgutachten zu den neuen Regeln zum Ausbau der Windenergie erstellen lassen. Dies besage, dass die neuen Regeln gegen EU-Recht verstießen. 

Dänhardt betont, dass das Gebiet - ganz abgesehen von individuellen Einschränkungen der Lebensqualität und möglichen gesundheitlichen Belastungen für die Anwohner - einfach ungeeignet sei, denn "die Standortwahl der Anlagen ist entscheidend für deren Naturverträglichkeit." Und zwar aus mehreren Gründen: Es ist bisher nicht für den Betrieb von Windkraftanlagen erschlossen, d.h. es müssten befestigte Wege, Betriebsgebäude gebaut werden. Und vor allem: Das Gebiet zerstöre einen zusammenhängenden Naturraum, der für den Natur-und Artenschutz wichtig sei: "Würden in der Gemeinde Jesteburg keine Flächen für Windkraftanlagen ausgewiesen, bliebe eine große zusammenhängende Fläche ohne weitere Beeinträchtigung für die Natur erhalten", heißt es in dem Positionspapier der IG.

Was ist auf dem Pinnerberg möglich?
"Hier wird Natur zerstört"

Liebe Frau Boegel,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 15. März. Es gibt uns die Gelegenheit, einige unserer Positionen erneut darzustellen und zu vertiefen.

Der Bau- und Planungsausschuss des Kreistags berichtet, dass der Landkreis Harburg zukünftig 4.000 Hektar Fläche zur Steuerung der Windenergie ausweisen muss. Derzeit sind es 500 Hektar. Das ist eine Verachtfachung der aktuellen Fläche – und damit auch eine Vervielfachung der negativen Auswirkungen von
Windkraftanlagen auf unsere Lebensräume. Unsere Landschaft wird sich erheblich verändern. Dabei soll das pauschale Klimaschutzargument ausreichen, um eine durch gewaltige Windräder vollgestellte Landschaft als Normalität hinzunehmen.

Bauwerke dieser Größe wären niemals genehmigungsfähig, würde es sich nicht um Windkraftanlagen handeln. Doch insbesondere zur Windkraft an Land gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens. Das zeigen
uns auch die vielen zustimmenden Reaktionen auf die Aktivitäten unserer Interessengruppe.

Erneuerbare Energie mit Verstand
Unsere Interessengruppe „Erneuerbare Energie mit Verstand“ hat mittlerweile rund 40 Mitglieder und einige hundert Unterstützer. Die Mehrheit unserer Mitglieder steht erneuerbarer Energie positiv gegenüber und unterstützt die Umstellung auf eine umweltfreundlichere Energieerzeugung. Das ist der Grund, warum wir uns den Namen „Erneuerbare Energie mit Verstand“ gegeben haben.

Wir setzen uns zugleich für die konsequente und gegenüber wirtschaftlichen Interessen gleichwertige Berücksichtigung des Natur- und Artenschutzes ein, für dessen gesetzlich verpflichtende Umsetzung große zusammenhängende Gebiete erhalten werden müssen. Es genügt ausdrücklich nicht, den Natur- und Artenschutz auf Schutzgebiete zu beschränken, denn die Ausweisung von Schutzgebieten steht in keinem Verhältnis zur Ausweisung wirtschaftlich genutzter Flächen. Unübersehbare Folgen sind der dramatische Rückgang der Artenvielfalt und die fortschreitende Zerstörung der Ökosysteme.

Wir sind der Überzeugung, dass die kleinen isolierten Flächen bei Lüllau, Itzenbüttel und Heusycken nicht für die Nutzung von Windkraft geeignet sind. Nicht nur das Rechtsgutachten, das wir aufgrund früherer ähnlicher Überlegungen beauftragt hatten, auch das aktuelle Raumordnungsprogramm gibt uns dabei recht.

Lebensqualität und Gesundheitsschutz
Der Gesundheitsschutz der Anwohner und der Erhalt der Lebensqualität sind uns weitere wichtige Anliegen. Sie vergleichen in Ihrem Schreiben die Lärmbelastung durch Windkraftanlagen mit „Waldesrauschen“. Menschen, die in der Nähe von Windkraftanlagen leben, berichten von anderen Eindrücken. Bei der Passage der Rotorblätter am Mast vorbei entsteht ein periodisches, tieffrequentes Geräusch, das Tag und Nacht je nach Windrichtung mehr oder weniger stark wahrnehmbar ist. Anwohner beschreiben dieses Geräusch als „periodisches Wummern“. Insbesondere in Lüllau sorgt die kesselartige Topographie des Seevetals zusätzlich noch für eine Verstärkung jeglicher Geräusche. Hinzu kommen Infraschall und Bodenerschütterungen, die immerhin so deutlich sind, dass seismologische Messstationen mindestens fünf Kilometer Abstand von Windkraftanlagen halten müssen. Je nach individueller Empfänglichkeit sind manche
Anwohner dadurch so belastet, dass sie gezwungen sind, sich einen neuen Wohnort zu suchen. Die Auswirkungen der zukünftig nicht nur auf See, sondern auch an Land eingesetzten Großwindkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von 250 bis 300 Metern auf die menschliche Gesundheit sind überhaupt noch nicht
untersucht.

Naturschutz und Artenschutz
Sie schreiben, dass die Umweltverbände BUND und Nabu hinter dem Ausbau der Windenergie stehen, und beziehen sich dabei auf deren Positionspapier von 2020. Mit der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Bundesnaturschutzgesetzes im Rahmen des „Osterpakets“ von 2022 sind die Umweltverbände nicht einverstanden. Der Nabu hat sich mittlerweile an die EU-Kommission gewandt, da einem Rechtsgutachten des Nabu zufolge die neuen Regelungen zum Ausbau der Windenergie gegen geltendes EU-Recht verstoßen.1

Auch die von Ihnen angesprochenen Antikollisionssysteme sieht der NABU kritisch. Die Anfluggeschwindigkeit der Tiere ist hoch, die Flugroute variantenreich und die Rotoren benötigen viel Zeit,
um verlangsamt oder gestoppt zu werden.Zwar ist es richtig, dass die derzeit größte Gefahr für Vögel insgesamt die industrielle Landwirtschaft ist. Dies kann jedoch auf keinen Fall bedeuten, andere Ursachen außer Acht zu lassen. Durch Windkraftanlagen an artenreichen Standorten kommt es zu einer zusätzlichen Belastung der Populationen, noch verschärft durch den zukünftig angestrebten Ausbau der Windenergie.
Die empfehlenswerte ZDF-Umweltdokumentation „Streitfall Windenergie“berichtet unter anderem über die
Folgen für Vögel und Fledermäuse. In einer Studie von 2016 wurden die Vogelschlagopfer über ein Gebiet mit 13.000 Windkraftanlagen untersucht. Schon damals starben allein durch Windkraftanlagen jedes Jahr 8000 Mäusebussarde – das sind jährlich 7 Prozent der gesamten Mäusebussard-Population. Was geschieht bei einer Vervielfachung der Anlagen?

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung untersucht in einem aktuellen Projekt Todesfälle von Fledermäusen durch Windkraftanlagen. Im Sommer 2021 starben im untersuchten Windpark mit drei Anlagen innerhalb von nur zwei Monaten 209 Fledermäuse. Todesursache waren Gefäßrupturen durch die von den Rotoren hervorgerufenen Druckunterschiede. Große, alte Bäume mit Höhlen und einem hohen Totholzanteil sind charakteristisch für Lüllau und Itzenbüttel. Sie bieten vielen Fledermausarten einen idealen Lebensraum. Für den hiesigen Fledermausbestand stellen Windkraftanlagen eine erhebliche Gefahr dar. Vor diesem Hintergrund möchten wir auch noch einmal an den Beitritt Jesteburgs zum Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ erinnern.

Die aktuellen Positionspapiere der Umweltverbände decken sich mit den Positionen und Forderungen unserer Interessengruppe: Die Standortwahl der Anlagen ist entscheidend für deren Naturverträglichkeit. Werden in der Gemeinde Jesteburg keine Flächen für Windkraftanlagen ausgewiesen, bliebe eine große zusammenhängende Fläche ohne weitere Beeinträchtigungen für die Natur erhalten.

Standortwahl und Akzeptanz von Windenergie
Seitdem das „Osterpaket“ den Zugriff auf Wälder und andere ökologisch sensible Bereiche in Widerspruch zum EU-Recht erlaubt, beobachten wir, dass der Widerstand gegen die Naturzerstörung im Namen des Klimaschutzes wächst. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie man Akzeptanz verspielt, ist die Errichtung großer Windkraftanlagen in einem der schönsten Wälder Deutschlands, dem Reinhardswald im Weserbergland.4

In ökologisch wertvollen Gebieten sind die Auswirkungen für die Umwelt unbestritten schwerwiegender als auf bereits vorbelasteten Flächen, wie Industrie- und Gewerbegebieten und entlang der Autobahnen. Auch ist es sinnvoll, vorrangig dort zu bauen, wo die nötige Infrastruktur bereits vorhanden oder leicht erschließbar ist, um weitere Umweltschäden zu vermeiden.
Naturschutz ist aus unserer Sicht wichtiger Bestandteil des Klimaschutzes und wir wenden uns gegen eine
Entwicklung, die Klimaschutz und Naturschutz gegeneinander ausspielt – auch, weil dies die Akzeptanz für die Energiewende in der Bevölkerung insgesamt gefährdet.

Sie schlagen uns einen persönlichen Austausch vor. Wir bedanken uns für das Gesprächsangebot und freuen uns, wenn unsere Argumente bei Ihnen Gehör finden. Gerne geben wir Ihnen weitere Informationen, warum die Gebiete in unserer Gemeinde für Windkraftanlagen ungeeignet sind. Aus unserer Sicht kann eine Akzeptanz nicht allein durch wirtschaftliche Vorteile hergestellt werden. Zumindest für die Mitglieder unserer Interessengruppe können wir mit Sicherheit sagen, dass die Ablehnung von oder Zustimmung zu Windkraftanlagen an den drei diskutierten Standorten nicht von individuellen wirtschaftlichen Vorteilen abhängt. Naturschutz, Lebensqualität und Gesundheitsschutz nehmen für uns einen mindestens ebenso
großen Raum ein.

Für die Interessengruppe Erneuerbare Energie mit Verstand mit freundlichen Grüßen
Birgit Christiansen
Dr. Andreas Dänhardt
Jan Duggen
Kevin Jung
Sabine Müller
Dr. Thorwald Winkler

1 „Rechtsgutachten sieht Verstöße gegen EU-Regeln“ https://www.nabu.de/news/2023/04/33245.html
2 „Faule Eier in Habecks Osterpaket“ https://schleswig-holstein.nabu.de/politik-und-umwelt/energie/windenergie/aktuelles/32741.html
3 „Streitfall Windenergie“ https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e-streitfall-windenergie-100.html
4 „Deutscher Märchenwald wird für Windräder zerstört“ https://www.bild.de/regional/frankfurt/politik-inland/kaum-noch-zu-stoppen-deutschermaerchenwald-wird-fuer-windraeder-zerstoert-86094640.bild.html

Redakteur:

Gabriele Poepleu aus Jesteburg

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