Wie KI in der Trauerbewältigung helfen soll
Ein Leben nach dem Tod?

- Die Meinungen spalten sich: Kann es Trauernden helfen, mit einem "virtuellen Zwilling" eines Verstorbenen zu sprechen?
- Foto: GPT / mit KI erstellt
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Der Tod gehört zum Leben dazu: Er begegnet uns bereits im Kindesalter, wenn das eigene Haustier stirbt oder wir Abschied von den geliebten Großeltern nehmen müssen. Dass Trauer schmerzhaft ist, erlebt früher oder später wohl jeder Mensch. Wie man damit umgeht, ist ganz individuell. Wie die ARD in der mehrteiligen Dokumentation "Mein Mann lebt als KI weiter - Lieben und Sterben mit Künstlicher Intelligenz" (www.ardmediathek.de, Stichwort "KI") berichtet, tun sich mit fortschreitender Technologie neue Möglichkeiten der Trauerbewältigung auf. Ein amerikanisches KI-Startup will "virtuelle Unsterblichkeit" verkaufen. Das bedeutet im Detail: Menschen könnten zukünftig eine Künstliche Intelligenz (KI) mit persönlichen Informationen füttern und sie so zum eigenen "digitalen Zwilling" machen. Nach dem eigenen Tod könnten Angehörige Trost in der KI suchen, mit ihr kommunizieren - so, als sei der Verstorbene noch am Leben.
Hilfreich oder gefährlich?
Ob KI in der Trauerbewältigung ein sinnvolles Mittel sein kann, darüber spalten sich die Meinungen. Befürworter der KI-Avatare sehen diese als hilfreiches Werkzeug im Trauerprozess. Sie betonen, dass Hinterbliebene dadurch wichtige Erinnerungen bewahren und in schwierigen Momenten Nähe zu Verstorbenen spüren können, etwa an Jahrestagen oder Feiertagen. Auch könnten solche Technologien Intimität und Trost bieten, indem sie ermöglichen, unausgesprochene Gedanken zu teilen. Kritiker hingegen warnen vor den psychologischen Gefahren. Sie befürchten, dass Avatare Trauernde in ihrer Trauerphase festhalten und den Prozess des Loslassens erschweren könnten. Zudem hinterfragen sie die Authentizität und ethischen Implikationen der Technologie, darunter die Datennutzung, mögliche Falschaussagen der Avatare und den kommerziellen Charakter solcher Angebote.
Trauer ist individuell
Das WOCHENBLATT hat bei Andrea Kenne vom Ambulanten Hospizdienst Winsen nachgefragt, ob ein "virtueller Zwilling" in der Trauerbewältigung hilfreich sein könnte. Die 60-Jährige hat regelmäßig mit dem Thema Tod zu tun, begleitet und unterstützt Menschen bei der Trauerbewältigung. "Ich kann jeden verstehen, der diese Möglichkeit nutzen würde", sagt Andrea Kenne. "Doch ich bin skeptisch, ob so etwas wirklich hilfreich wäre." Die Expertin habe Bedenken, ob der Trauerprozess durch einen KI-Avatar nicht eher behindert würde und er der Weiterentwicklung der trauernden Person im Weg stünde. "Trauer ist wichtig und für jeden sehr individuell", erklärt Kenne. Wie Menschen mit dem Verlust einer geliebten Person umgehen, hänge von vielen Faktoren ab: von Alter und Todesursache, von Vorerfahrungen mit dem Thema Tod, aber beispielsweise auch davon, ob man sich verabschieden konnte.
KI kann helfen
Bei aller Skepsis gegenüber den "virtuellen Zwillingen": Andrea Kenne sieht großes Potenzial in der Nutzung von KI in der Trauerbewältigung. "Wie wir mit Trauer und Erinnerungen umgehen, wird sich in den nächsten Jahren mit Sicherheit verändern und die Nutzung von künstlicher Intelligenz wird dabei eine Rolle spielen." So gibt es beispielsweise jetzt schon für Sterbende die Möglichkeit, ein persönliches Hörbuch für Kinder oder die Familie aufzunehmen, das diese später im Trauerprozess unterstützt. Hinterbliebene können beispielsweise auch online ihre Chatnachrichten mit dem Verstorbenen sichern und sie bei Bedarf abrufen. Auch gibt es individuelle, virtuelle Erinnerungsräume, die mit Fotos, Sprachnachrichten oder persönlichen Botschaften gestalten werden können. Theoretisch könne jeder Mensch überlegen, was er oder sie der Nachwelt einmal "hinterlassen" möchte, sagt Andrea Kenne. KI hilft vielen bereits jetzt in ihrem Trauerprozess und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Erinnerungen erhalten
"Es ist ganz normal, dass Trauernde mit dem Verstorbenen 'reden' oder gemeinsame Rituale durchführen, um sich ihm nah zu fühlen", erklärt Andrea Kenne. Es gelte dabei, Erinnerungen zu erhalten und sich gleichzeitig neu zu sortieren. Doch es sei auch wichtig, nicht in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sein Leben zu leben und sich weiterzuentwickeln. Hierbei sieht Andrea Kenne die Probleme mit einem KI-Avatar. Bei häufiger Nutzung könnte der natürliche Trauerprozess aufgehalten werden. Der geliebte Mensch bleibt tot, die künstliche Intelligenz kann ihn nicht ersetzen und gleichzeitig müssen Hinterbliebene ihre Leben weiterleben.
"Trauer ist ganz normal, sie gehört zum Leben dazu, auch wenn es schmerzhaft ist", sagt Andrea Kenne, die sich wünschen würde, dass das Thema weniger tabuisiert würde. Trauernden rät sie vor allem, sich mit anderen auszutauschen, über die Gefühle zu sprechen und sich mit der Zeit zu erlauben, den Verlust zu verarbeiten.
Mehr zum Angebot des Ambulanten Hospizdienstes Winsen gibt es online unter https://www.ambulanter-hospizdienst-winsen.de/.
Ihre Meinung
Schreiben Sie, liebe WOCHENBLATT-Leserinnen und -Leser, uns Ihre Meinung: Könnten Sie sich vorstellen, einen KI-Zwilling nach dem Tod eines Angehörigen zu nutzen bzw. eine KI mit persönlichen Informationen zu füttern, um nach dem eigenen Tod "weiterzuleben". Schicken Sie uns einen Leserbrief mit Ihrer Meinung an red-buch@kreiszeitung.net, Stichwort: Trauer. Vergessen Sie dabei nicht, Ihren Namen und Wohnort mitzuteilen.
Kommentar: Trauer muss durchlebt werden
Mit Trauer umzugehen ist schmerzhaft, die Gedanken kreisen um kein anderes Thema mehr und man möchte seine Gefühle am liebsten betäuben. Das ist Teil der menschlichen Erfahrung. Menschlich ist das Stichwort. So sehr uns Künstliche Intelligenz auch weiterbringt (in einigen Bereichen mehr, in anderen weniger), mit dem "digitalen Zwilling" eines Verstorbenen zu sprechen, als Ersatz für den geliebten Angehörigen, empfinde ich persönlich als befremdlich. Natürlich kann es kurzfristig helfen, Trost in den Worten einer künstlichen Version des Verstorbenen zu erhalten, denn sie soll ja "denken", schreiben und klingen, wie das Original. Aber das ist sie eben nicht. Ein Mensch ist nicht ersetzbar, schon gar nicht von einem Computer. Die Gefahr, sich in seiner Verzweiflung zu sehr in dieser "Traumwelt" zu verlieren, ist meiner Meinung nach zu groß. Ich denke, dass der Trauerprozess so nur hinauszögert wird, vom Datenmissbrauch und dem Einfluss, den die "KI-Zwillinge" auf Trauernde haben könnten, ganz zu schweigen. Projekte wie dieses fühlen sich an, als lebten wir in einem Science-Fiction-Film. Trauer gehört zum Leben. Sie muss gefühlt, durchlebt und verarbeitet werden.
Pauline Meyer
Redakteur:Pauline Meyer aus Neu Wulmstorf |
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