Digitale politische Sitzungen
Wie viel Öffentlichkeit darf's in der Pandemie sein?
bim/as. Landkreis. Liegt es an den technischen Unzulänglichkeiten, rechtlichen Unsicherheiten oder einer guten Gelegenheit für "Hinterzimmerpolitik"? In vielen Kommunen im Landkreis ist es bisher nicht gelungen oder auch nicht gewollt, die öffentlichen politischen Sitzungen für die Bürgerinnen und Bürger Corona-konform online zu übertragen. Dabei war bereits zum vergangenen Juli die Niedersächsische Kommunalverfassung angepasst bzw. ergänzt worden um die "Sonderregelungen für epidemische Lagen", damit demokratische Prozesse auch in Pandemie-Zeiten nachvollziehbar bleiben. Der Kreistag hat am Montag entschieden, den Bürgern genau diese Möglichkeit zu bieten. Sie können ab sofort für die Dauer der vom Land festgestellten epidemischen Lage die Debatten in den Kreistagsausschüssen - nach Anmeldung - von zuhause aus verfolgen.
Einige Politiker haben Bedenken bei Online-Übertragungen, weil sie fürchten, dass Bild- oder Tonaufzeichnungen gegen ihren Willen plötzlich im Internet und in den sogenannten sozialen Medien kursieren könnten. Bild- und Tonaufzeichungen sind allerdings verboten.
So wird es in einigen anderen Kommunen gehandhabt:
Samtgemeinde Tostedt
Tostedt übernahm bei den für alle zugänglichen Videokonferenzen eine Vorreiterrolle. Nach abgesagten Sitzungen und Beschlüssen in Umlaufverfahren entschied sich die Tostedter Verwaltung mit dem zweiten Lockdown, ab Januar die öffentlichen politischen Sitzungen via webex für alle Interessierten zu übertragen, die Zugangslinks stehen online auf der Homepage der Samtgemeinde. Sofern die Technik daheim funktioniert, klappt auch die politische Willensbildung samt Bürgerbeteiligung in diesen Online- oder Videokonferenzen. An einer dieser virtuellen Sitzungen nahmen zeitweise 60 Zuhörer teil - eine enorme Beteiligung und mehr als bei den meisten Präsenzsitzungen.
Darauf, dass keine Ton- und Videoaufnahmen gemacht werden dürfen, wird jedes Mal zu Sitzungsbeginn hingewiesen.
Stadt Buchholz
Die Bürger per Livestream die Sitzungen mitverfolgen zu lassen, sei in nächster Zeit nicht geplant, sagt Heinrich Helms, Pressesprecher der Stadt Buchholz. Der Rat müsste vorab der Zuschaltung der Bürger zustimmen - und die nächste Sitzung findet ohnehin erst wieder im Juli statt. "Grundsätzlich ist die Verwaltung dem Streamen von Sitzungen gegenüber aber aufgeschlossen", sagt Helms. In der vergangenen Legislaturperiode sei im Stadtrat bereits ein Antrag dazu gestellt worden, die Politik habe sich damals aber dagegen entschieden.
"Die Frage ist auch, wie groß das Interesse der Bürger tatsächlich ist, die Sitzungen online mitzuverfolgen", gibt Buchholz' Sprecher zu bedenken. Kosten und Nutzen müssten im Verhältnis stehen.
Stadt Winsen
"In Winsen können sich die Abgeordneten an allen Sitzungen online beteiligen", sagt Stadtsprecher Theodor Peters. Jede Sitzung findet auch in Präsenz einiger Mitglieder und Verwaltungsbediensteter statt. Auch Zuhörer haben in begrenzter Anzahl und unter Anwendung von Abstands- und Hygieneregeln stets die Option, in öffentlichen Sitzungen jeweils vor Ort dabei zu sein. "Sitzungen ausschließlich als Videokonferenzen gibt es bei uns nicht", erklärt Peters. "Losgelöst davon will der Stadtrat zu Beginn der nächsten Kommunalwahlperiode die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die öffentlichen Ratssitzungen als Livestream übertragen werden und auf der städtischen Internetseite eine Zeit lang abrufbar sind." So sei es in der Sitzung im Dezember beschlossen worden. Die Hauptsatzungsänderung geht demnächst in die Beratungen.
Samtgemeinde Jesteburg
"Das Streamen von Sitzungen ist (nach Rückfrage beim Landkreis) technisch wohl sehr aufwendig, damit teuer und wird nicht so schnell umzusetzen sein", befürchtet Jesteburgs Samtgemeinde-Bürgermeisterin Claudia von Ascheraden. Zudem möchte die Samtgemeinde Jesteburg erstmal abwarten, welche Erfahrungen der Landkreis mit den Online-Sitzungen macht. "Sollte die Beteiligung gering sein, dann stellt sich die Frage, ob wir die Kosten dafür in Kauf nehmen."
Gemeinde Seevetal
Es gibt in der Gemeinde Seevetal einen Arbeitskreis mit Vertretern aus Politik und Verwaltung, die sich des Themas (Hybrid-Sitzungen, Livestream etc.) angenommen haben, teilt Andreas Schmidt, Pressesprecher der Gemeinde Seevetal, mit. "Zudem hat der Verwaltungsausschuss die Verwaltung beauftragt, die rechtlichen und technischen Möglichkeiten für ein Streaming von Gremiensitzungen für Bürgerinnen und Bürger darzustellen, sodass ein Beschluss zur dafür notwendigen Änderung der Hauptsatzung und ggf. der Geschäftsordnung im Rat am 15. Juli gefasst werden kann." Im Rahmen des Beschlusses werde zu klären sein, für welche Sitzungen (Ratssitzungen, Fachausschüsse, Ortsräte) eine mögliche Entscheidung dann gelten soll, so Schmidt.
• Wer bei den Kreistagsausschüssen live dabei sein möchte, meldet sich jeweils bis zwei Stunden vorher mit Namen, Adresse und E-Mail-Adresse an bei Andreas Reimers, E-Mail: a.reimers@lkharburg.de. Danach werden die Zugangsdaten zugeschickt. Voraussetzung ist ein registrierter Youtube-Account. Im Kreishaus Winsen stehen aber weiterhin Plätze zur Verfügung, um die Sitzung dort am Bildschirm zu verfolgen.
Es gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit
Das WOCHENBLATT fragte auch beim niedersächsischen Innenministerium nach. Von dort heißt es: "Der Grundsatz der Öffentlichkeit gehört zu den wesentlichen Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung. Auch bei öffentlichen Sitzungen, die als Videokonferenz durchgeführt werden, muss daher grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, die Sitzung einschließlich der Beratungen und Beschlussfassungen als Zuhörer und Zuseher zu verfolgen, soweit dies technisch möglich ist." Die Öffentlichkeit müsse den Verhandlungen folgen, die Ausführungen und Wortmeldungen verstehen und dem jeweiligen Redner zuordnen können. Auch die Übertragung in einen öffentlich zugänglichen, unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes geeigneten Raum sei zulässig, wobei die Anzahl von Zuschauerplätzen ggf. begrenzt werden kann. Welche Form der Teilnahme am besten geeignet ist, sei nach den örtlichen Gegebenheiten zu entscheiden. Die Übertragung eines Live Streams ins Internet komme allerdings nur in Betracht, wenn die Hauptsatzung der Kommune eine Regelung im Sinne des § 64 Abs. 2 NKomVG enthält (Anm. d. Red.: betrifft Bild- und Tonaufnahmen).
Einschätzung des Städte- und Gemeindebundes
Zur Corona-konformen Durchführung öffentlicher (politischer) Sitzungen hat der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund eine Beurteilung abgegeben. Sollten z.B. kleinere Kommunen keine Räumlichkeiten haben, in denen die hygienischen Standards gewährleistet werden können, darf in eine Nachbarkommune mit entsprechenden Räumen ausgewichen werden. "Das ist in jedem Fall besser, als nur einer ganz geringen Zahl von Einwohnern die Teilnahme an der öffentlichen Sitzung zu ermöglichen", heißt es.
Auch in Zeiten von Corona gelte das Prinzip der Öffentlichkeit von Sitzungen. Es sei aber zulässig, zur Wahrung der Abstände die Zahl der Zuhörer - ggf. auch drastisch - zu reduzieren. "Möchten mehr Zuhörer teilnehmen, als Plätze zur Verfügung stehen, können zu Beginn der Sitzung Eintrittskarten für die interessierte Öffentlichkeit nach dem sog. Windhundverfahren oder dem Zufallsprinzip ausgegeben werden."
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