Metropole des frühen Mittelalters
Die Ur-Stader trieben schon vor 1.200 Jahren Handel
jd. Stade. Stachen von hier einst die Schiffe in See, um mit dänischen Wikingern, slawischen Fürsten oder den Warägern der Kiewer Rus Handel zu treiben? Die Stader Archäologen machten am Ufer der Schwinge bei Groß Thun eine spektakuläre Entdeckung: Sie gruben einen Steg aus, der vor rund 1.200 Jahren angelegt wurde. Dort landeten wahrscheinlich die frühmittelalterlichen Handelsschiffe ihre Waren aus den Ländern der damals bekannten Welt an. Für Stades Chefarchäologen Dr. Andreas Schäfer ist der Steg ein wichtiges Puzzleteil bei der Erforschung von Stades Frühzeit: Nach seiner Ansicht fügt es sich mit den bisherigen Funden zum Bild einer frühmittelalterlichen (Handels-)Metropole zusammen. Dieses Ur-Stade - rund drei Kilometer südlich von der jetzigen Stader Altstadt gelegen - könnte in einem Atemzug mit den bedeutendsten Handelsplätzen der damaligen Zeit wie Haithabu, Dorestad, Nowgorod oder dem sagenumwobenen Reric genannt werden.
Nur weniger Meter am Burgwall vorbei schlängelt sich die Schwinge wie ein blaues Band durch die idyllische Landschaft mit ihren satten grünen Wiesen und vereinzelten Baumreihen, die Ruhe wird nur ab und an unterbrochen von schnatternden Nonnengänsen. So gut wie nichts deutet darauf hin, dass hier inmitten des Schwingetals einst eines der bedeutendsten Machtzentren im Siedlungsbereich der Altsachsen lag. Die ovale Wallanlage wurde fälschlicherweise als Befestigung aus der Schwedenzeit gedeutet. Daher der Name "Schwedenschanze" - eine Bezeichnung, die gänzlich irreführend ist. Denn seit einer großen Grabungskampagne, die 2010 abgeschlossen wurde, wissen die Archäologen: Der Ringwall ist fast ein Jahrtausend älter. Er entstand bereits in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Die Datierung war seinerzeit eine kleine Sensation: Die "Schwedenschanze" ist damit die älteste mittelalterliche Burg zwischen Rhein und Elbe.
Welche sächsischen Herrscher in der Burg von Groß Thun residierten, ist nicht bekannt. "Es gibt aus dieser Zeit kaum Urkunden oder andere schriftliche Quellen", sagt Schäfer. Vielleicht könnten es Vorfahren der Stader-Harsefelder Grafen gewesen sein. Fest steht nur: Die Burg bestand auch nach dem endgültigen Sieg des Frankenkönigs Karl dem Großen über die Sachsen im Jahr 804 weiter. Laut Schäfer wurde die Anlage erst um 930 aufgegeben - vermutlich, weil auf dem Spiegelberg am heutigen Stader Stadthafen eine neue Burg mitsamt Siedlung errichtet wurde. Das Dunkel über Stades Frühgeschichte lichtete sich erst im Jahr 994, als der Ort "Stethu" erstmals im Zusammengang mit einem Wikingerüberfall erwähnt wurde.
So bleibt für die dunklen Jahrhunderte, in denen jegliche schriftliche Überlieferung fehlt, nur das, was die Archäologen zu Tage fördern. Das ist aber in Bezug auf die Burg von Groß Thun jede Menge: "Hier vor Ort haben wir schon vor einiger Zeit die Vorburgsiedlung ausgegraben", berichtet Schäfer. Ganz in der Nähe sei auch noch eine zweite Burganlage freigelegt worden. Eine dritte habe man weiter schwingeaufwärts entdeckt, aber noch nicht untersucht. Beide Befestigungen dienten mutmaßlich dazu, die "Schwedenschanze" zu schützen. In der näheren Umgebung wurden außerdem ein frühmittelalterliches Dorf sowie eine Begräbnisstätte aus dieser Zeit entdeckt, die beide im Zusammenhang mit der Burg gestanden haben dürften.
Solch eine Dichte an Fundstellen und archäologischen Stätten wie im Umfeld der "Schwedenschanze" sei höchst selten, so Schäfer. Er ist fest davon überzeugt: Dieses Ur-Stade birgt noch weitere archäologische Überraschungen.
Datierung mit Hilfe von Jahresringen
Die Entdeckung des Steges ist einem Zufall zu verdanken: Bei einem Hochwasser der Schwinge wurde ein Teil des Uferrandes freigespült. So kam die Holzkonstruktion zum Vorschein. Deren Errichtung lässt sich zweifelsfrei auf die Zeit um 800 datieren - mit Hilfe der sogenannten Dendrochronologie. Bei dieser Methode werden die Jahresringe von ausgegrabenen Hölzern mit Referenzwerten verglichen. So lässt sich exakt bestimmen, wann ein Baum gefällt wurde.
Die Archäologen waren schon zuvor davon ausgegangen, dass die "Schwedenschanze" als wichtiger Handelsplatz über eine Steganlage verfügen musste. Bei früheren Ausgrabungen wurde bereits eine 27 Meter lange Uferrandbefestigung freigelegt. Die Archäologen hörten damals dort, wo jetzt der Steg entdeckt wurde.
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