Sympathischer als Hartz IV
Was bringt das neue Bürgergeld?
Anfang 2023 wurde aus "Hartz IV" das "Bürgergeld". Der Name klingt sympathischer, hebt er doch den "Hartzer" zum "Bürger" auf. Hinter der neuen Bezeichnung stecken zahlreiche Änderungen. Das WOCHENBLATT hat sich das neue Bürgergeld von Dr. Anja Wode, Geschäftsführerin des Jobcenters im Landkreis Stade, erklären lassen.
WOCHENBLATT: Frau Dr. Wode, was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen Hartz IV und dem Bürgergeld?
Dr. Anja Wode: Für unsere Kundinnen und Kunden ist das sicherlich die Höhe der ausgezahlten Summe. Die Regelsätze von Hartz IV wurden das letzte Mal 2019 angepasst. Zudem war für Anpassungen stets eine Gesetzesänderung erforderlich, die Bundestag und Bundesrat passieren musste. Das hat Zeit gekostet. Beim Bürgergeld gibt es hingegen jetzt eine Inflationsausgleichsregelung, die schneller greifen soll.
WOCHENBLATT: Was bedeutet die Anpassung der Regelsätze in Euro und Cent?
Dr. Anja Wode: Bei Hartz IV bekam eine alleinstehende Person einen Regelsatz von 449 Euro, für den volljährigen Partner gab es 404 Euro dazu. Beim Bürgergeld sind es aktuell 502 Euro für den Empfänger und 451 Euro für den volljährigen Partner. Das sind die reinen Leistungen zum Leben, Kosten für Wohnen und Heizen werden extra gezahlt.
WOCHENBLATT: Welche weiteren Änderungen sind Ihrer Meinung nach wichtig?
Dr. Anja Wode: Bei Hartz IV hatte das Jobcenter den Auftrag, der Jobvermittlung den Vorrang zu geben. Die Weiterbildung stand erst an zweiter Stelle. Das hatte oft den sogenannten Drehtüreffekt. Weil unsere Kundinnen und Kunden nicht qualifiziert genug waren, verloren sie den Job häufig wieder. Beispiele hierfür sind fehlende Sprachkenntnisse oder ein nicht vorhandener Staplerschein. Mit der Bürgergeldreform steht die Qualifikation an erster Stelle. Der Vermittlungsvorrang ist offiziell weggefallen. Ziel ist jetzt, die Bürgergeldempfänger dahingehend zu fördern, dass sie dauerhaft eine Arbeit finden. Dabei sollen auch berufsbegleitende Coachings sowie Boni und Weiterbildungsgeld Hilfestellung geben und Anreize schaffen.
Qualifikation steht an erster Stelle
Weiteres großes Plus: Bei der Berufsausbildung gibt es jetzt kein Verkürzungsgebot mehr. Früher mussten Hartz-IV-Empfänger, die eine Berufsausbildung absolvierten, diese in einem verkürzten zeitlichen Rahmen absolvieren. Das brachte nicht nur Stress und Lernprobleme mit sich, sondern schloss auch schulische Ausbildungen, z.B. im sozialen und im Pflegebereich, prinzipiell aus, weil hier keine Verkürzung möglich ist. Durch den Wegfall des Verkürzungsgebots können wir unser Spektrum deutlich vergrößern und Lerndruck wegnehmen. Das hat auch zum Ziel, langfristig in eine qualifizierte Arbeit statt einen Aushilfsjob zum vermitteln.
WOCHENBLATT: Großer Kritikpunkt bei Hartz IV waren die Sanktionen. Wer Termine schwänzte oder ein Jobangebot nicht nutzte, bekam weniger Geld. Wie ist das beim Bürgergeld geregelt?
Dr. Anja Wode: Beim Bürgergeld gibt es jetzt weniger Sanktionen, infolge derer die Zahlungen reduziert werden. Bei Hartz Vier durften Zahlungen bis zu 100 Prozent reduziert werden. Jetzt sind maximal 30 Prozent weniger möglich und die Hürden sind deutlich höher. Dazu ist folgende Zahl interessant: Beim Jobcenter im Landkreis Stade lag die Sanktionsrate 2021 bei lediglich 1,3 Prozent und betraf dabei oft mehrfach dieselben Personen. Das zeigt, dass fast alle unserer Kundinnen und Kunden gut mitarbeiten.
Kunden werden zu Kooperationspartnern
Apropos Mitarbeit: Was bei Hartz IV "Eingliederungsvereinbarung" genannt wurde, heißt beim Bürgergeld jetzt "Kooperationsplan". Die neue Bezeichnung macht deutlich, dass das Amt weniger strikt bei seinen Vorgaben sein soll. Stattdessen wird gemeinsam geplant, wie es auf dem Weg in den neuen Job weitergehen soll. Ich wehre mich jedoch gegen die allgemeine Aussage, dass jetzt mehr "auf Augenhöhe" gearbeitet wird als vorher. Mein Team hatte schon immer zum Ziel, gemeinsam einen Weg ins Erwerbsleben zu finden, und freut sich über die neuen Möglichkeiten.
WOCHENBLATT: Wie sehen die Änderungen bei Privatvermögen und Wohnungsgröße aus?
Dr. Anja Wode: Privates Vermögen bis 40.000 Euro bleibt beim Bürgergeld ein Jahr lang unangetastet. Für jedes weitere Haushaltsmitglied kommen 15.000 Euro hinzu. Auch die Größe des Wohnraums wird jetzt vom Jobcenter ein Jahr lang nicht kontrolliert. Das reduziert den Druck auf dem angespannten Wohnungsmarkt und lässt den Bürgergeld-empfängern Angespartes für die Altersvorsorge.
Mehr Karenz bei Vermögen und Wohnungsgröße
Geändert wurden auch die Freibetragsgrenzen für Einkommen neben dem Bürgergeld. Wer etwas hinzuverdient, z.B. auf 520-Euro-Basis, hat jetzt einen Freibetrag von 30 Prozent, der nicht auf das Bürgergeld angerechnet wird. Zuvor lag dieser bei 20 Prozent. Generell ist es so, dass das Bürgergeld bei vielen eine Zusatzleistung ist, weil der Lohn allein für den Lebensunterhalt nicht ausreicht. Das betrifft z.B. Alleinerziehende, die wegen der Kinderbetreuung nur in Teilzeit arbeiten können, oder Familien mit nur einem Verdiener im Niedriglohnsegment.
WOCHENBLATT: Und wie bewerten Sie das Bürgergeld?
Dr. Anja Wode: Das Bürgergeld ist bürgerfreundlicher und zukunftsorientierter als Hartz IV. Beispiele hierfür sind die verlängerten Karenzzeiten für Privatvermögen und Wohnungsgröße und der Vorrang der Qualifizierung. Die Zusammenarbeit wird dadurch leichter.
WOCHENBLATT: Frau Dr. Wode, vielen Dank für das Gespräch.
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.