Interview mit Arbeitgeberverband
Für eine menschenwürdige Arbeitsmarktpolitik

Bernd Wiechel, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Lüneburg-Nordostniedersachsen | Foto: AV Lüneburg-Nordostniedersachsen
  • Bernd Wiechel, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Lüneburg-Nordostniedersachsen
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Der Landrat des Saale-Orla-Kreises in Thüringen hat eine Arbeitspflicht für Geflüchtete eingeführt. Um das Thema ist jetzt eine neue bundesweite Debatte entbrannt. Im Interview mit WOCHENBLATT-Redaktionsleiter Oliver Sander nimmt Bernd Wiechel, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Lüneburg-Nordostniedersachsen, zu dem Vorstoß Stellung. 
WOCHENBLATT: Wie stehen Sie zu einer Arbeitspflicht für Geflüchtete?
Bernd Wiechel: Zunächst fällt auf, dass man sich bei der jetzt angestoßenen Diskussion über eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge nicht ganz des Eindrucks erwehren kann, dass diese auch gewisse populistische Züge trägt. Dessen ungeachtet gilt jedoch, dass wir In Deutschland nicht nur einen großen
Fachkräftemangel, sondern inzwischen auch einen allgemeinen Arbeitskräftemangel haben. Insofern ist richtig und wichtig, hier auch möglichst schnell ausländische Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zu integrieren und sich dabei an dem Bedarf des Arbeitsmarktes und der Unternehmen zu orientieren.
WOCHENBLATT: Was ist dabei besonders zu beachten?
Wiechel: Der Fokus sollte deshalb darauf liegen, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dazu gehört neben der Erteilung einer Arbeitserlaubnis insbesondere eine zügige Anerkennung von Berufsabschlüssen und die Vermittlung der notwendigen deutschen Sprachkenntnisse. Dabei kann die Sprachvermittlung aus unserer Sicht auch sehr gut im Betrieb weitergeführt werden. Hier wünschen wir uns, dass zur Beschleunigung die Sprachkurse künftig auch durch die Arbeitsagenturen gefördert werden können.
WOCHENBLATT: Wo sehen Sie die Grenzen einer solchen Arbeitspflicht?
Wiechel: Eine Arbeitspflicht für Geflüchtete muss sich daran orientieren, ob im konkreten Fall überhaupt ein Bedarf besteht und ob ein Arbeitseinsatz sinnvoll und sachgerecht ist. Es kann hier nicht um bloße Beschäftigung der Beschäftigung wegen gehen. Zudem sind die in unserem Land geltenden Grundrechte zu beachten, sodass eine Arbeitspflicht wie bei anderen Arbeitnehmern nicht zu einer Form der Ausbeutung oder zu einer Stigmatisierung von Geflüchteten führen darf. Auch sollte nicht ganz unberücksichtigt bleiben, dass viele Geflüchtete traumatische Erlebnisse hinter sich haben und eine angemessene Integration und psychologische Betreuung benötigen, bevor sie in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können.
WOCHENBLATT: Wie könnte eine Arbeitspflicht in Bezug auf gemeinnützige Tätigkeiten praktisch umgesetzt werden? Welche Tätigkeiten kämen hier überhaupt in Betracht?
Wiechel: Sollte eine Form der gemeinnützigen Arbeitspflicht für Geflüchtete in Erwägung gezogen werden, müsste diese in enger Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen erfolgen, um sicherzustellen, dass die Tätigkeiten sowohl den Bedürfnissen der Gemeinschaft als auch den Fähigkeiten und Interessen der Geflüchteten entsprechen. Denkbare Tätigkeiten könnten in der Unterstützung sozialer Einrichtungen, in der Pflege öffentlicher Anlagen oder in der Mithilfe bei kulturellen und bildungsbezogenen Projekten liegen. Wichtig ist jedoch, dass diese gemeinnützige Tätigkeit nicht in Wettbewerb zum ersten Arbeitsmarkt tritt und zur Konkurrenz für öffentliche Aufträge wird.
WOCHENBLATT: Halten Sie eine Entlohnung von 80 Cent pro Stunde in der Höhe für gerechtfertigt?
Wiechel: Wenn Arbeit geleistet wird, sollte diese grundsätzlich auch entsprechend den üblichen Standards entlohnt werden. Sollte es sich wirklich um gemeinnützige Tätigkeiten handeln, dann gelten die dortigen Vergütungsmaßstäbe. Reden wir jedoch über reguläre Arbeit, dann gilt hier mit Blick auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und die dortige Wettbewerbssituation, wie sonst auch, das Mindestlohngesetz.
Abschließend lehnen wir als Arbeitgeberverband jegliche Vorschläge ab, die potenziell die Gesellschaft spalten oder extremistischen Gruppierungen in die Hände spielen könnten. Stattdessen setzen wir uns für eine integrative, faire und menschenwürdige Arbeitsmarktpolitik ein, die allen in Deutschland lebenden Menschen zugutekommt.

Redakteur:

Oliver Sander aus Buchholz

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