Jesteburg: Lüllauer wehren sich gegen Windkraft
"Hier wird Natur zerstört"
Sechs bis neun Windkraftanlagen in Lüllau, Itzenbüttel und Heusyken, jeweils 240 bis 290 Meter hoch, 600 bis 800 Meter von den benachbarten Wohnhäusern entfernt - das Bild, das die neue Lüllauer Interessengemeinschaft "Erneuerbare Energie mit Verstand" (IG EEV) malt, ist für viele Anwohner erschreckend: Auf ihrem Flyer, der kürzlich in vielen Jesteburger Haushalten verteilt wurde, sind Windräder, so hoch wie der Hamburger Fernsehturm, zu sehen. Die kleinen Häuschen darunter wirken winzig. Gibt es wirklich schon konkrete Pläne für die Windkraft-Potentialflächen?
Dass die Windräder so riesig werden, "ist deutlich mehr als ein Gerücht", sagt Dr. Andreas Dähnhardt, Lüllauer Biologe, der für die IG auf dem Flyer verantwortlich zeichnet. "Es gab schon Gespräche Hamburger Projektgesellschaften mit Grundeigentümern vor Ort." Aber die blieben lieber ungenannt. Außerdem seien wenige große Windräder einfach wirtschaftlicher als viele kleine., habe die Vergangenheit gezeigt. Das bestätigt Michael Wüstefeld: "Kleinere werden heutzutage gar nicht mehr gebaut, weil sie im Verhältnis aufwändiger sind und nicht so viel einbringen." Deshalb gehe auch der Landkreis, der die Windräder schließlich genehmigen muss, immer von großen Windrädern aus. Das sei gängige Verwaltungspraxis, so Dähnhardt, der beruflich selbst mit Off-Shore-Anlagen zu tun hat. Das technische Limit liege derzeit bei 300 Metern Höhe.
Inzwischen haben auch die Jesteburger Grünen mit einem offenen Brief an die Interessengemeinschaft Stellung bezogen: Der Nutzen der Windkraftanlagen für die Energiewende sei sehr viel größer als ihr Schaden, heißt es dort. Und in Bezug auf eine mögliche Gefahr für Vögel: "Tatsächlich können die Rotorblätter Fledermäuse oder Vögel erschlagen. Allerdings gefährden moderne WKA deutlich weniger Fledermäuse und Vögel als alte Anlagen – weil sie inzwischen viel höher sind und häufig mit Sensoren und Kameras ausgerüstet sind."
In welchen Gebiete könnten neue Windräder gebaut werden? Eine der Potentialflächen ist ein Lüllauer Acker westlich des Pinnerbergs bei der Osterfeuerfläche: Sie umfasst zweimal zwei Hektar. In Itzenbüttel wurde ebenfalls eine Mini-Fläche ermittelt, für die es wohl Interessenten gibt, die aber nicht zu den offiziellen Windkraft-Potentialflächen (siehe Karte) zählt. Dazu kommt eine etwas größere Fläche (Heusycken) zwischen Dierkshausen und Schierhorn.
Derzeit gehören rund 40 Bewohner aus der weiteren Lüllauer Nachbarschaft für die IG, rund 15 Lüllauer gehören zum "harten Kern". "Uns wird sicher vorgeworfen werden, dass wir die Windräder nur ablehnen, weil sie in der Nähe unserer Wohnorte gebaut werden sollen", erwartet Dähnhardt. "Damit müssen wir wohl leben. Aber das stimmt nicht." Die Interessengemeinschaft fürchte vor allem, dass die biologische Vielfalt in ökologisch wertvollen Landschaften der Nordheide durch die Windkraftanlagen zerstört werde. "Die Schäden wären enorm und stehen in keinem Verhältnis zum angestrebten Nutzen", heißt es auf dem Flugblatt.
Aber bei den anvisierten Flächen handelt es sich doch um ökologisch nicht sonderlich hochwertige, intensiv genutzte landwirtschaftliche Monokulturen, oder? "Das stimmt", so Dähnhardt, "Man darf aber nicht nur die Fläche sehen, auf der das Windrad selbst steht. Man muss aber die Umgebung einbeziehen. " Im Gegensatz zum Beispiel zu riesigen öden Flächen in Mecklenburg-Vorpommern gebe es hier noch eine gut strukturierte Landschaft. "Wichtig sind vor allem die Waldränder: Fledermäuse und Vögel machen nicht an der Ackergrenze halt." Rund um Lüllau gebe es viele Vögel, zum Beispiel die Feldlerche und den Rotmilan. Und es zögen massenweise Zugvögel mit einer Flughöhe ab 150 Metern durch.
Die Jesteburger Grünen betonen dagegen in ihrem Brief: "Die weitaus größte Gefahr für Vögel ist (...) die industrielle Landwirtschaft." Auch seien die Windräder nicht übermäßig laut: "Selbst bei sehr starkem Wind entspricht die Lautstärke in 250 Meter Entfernung 45 Dezibel. Das entspricht der Lautstärke eines rauschenden Waldes."
Schließlich müsse sich auch die Gemeinde Jesteburg an der Energiewende beteiligen. "Um unseren (fossilfreien) Energiebedarf zu decken, dürfen wir nicht nur auf andere zeigen und sagen 'macht ihr das mal'. Auch wir in der Samtgemeinde sind gesamtgesellschaftlich gefordert, zum Gelingen der Energiewende mit beizutragen", so Grünen-Sprecherin Nathalie Boegel.
Was die IG besonders stört: Die Jesteburger Potentialflächen sind relativ klein, liegen isoliert und müssten erst infrastrukturell erschlossen werden. Das heißt: Man muss befestigte Wege bauen, Leitungen verlegen, Fundamente setzten. "Dabei stehen im Landkreis Harburg ausreichend besser geeignete Flächen mit bereits vorhandener Infrastruktur zur Verfügung", sagt Dähnhardt. Deshalb lehnt die IG EEV Windkraftanlagen auf dem Gebiet der Gemeinde Jesteburg komplett ab. Die Mitglieder fordern, dass zunächst Windkraftanlagen "an bereits vorbelasteten Standorten mit geeigneter Infrastruktur" gebaut werden. Der Landkreis solle sich am bestehenden Raumordnungsplan orientieren.
Das dürfte allerdings nicht so leicht fallen, weil der Landkreis - aufgrund von Gesetzesänderungen auf Bundes- und Landesebene - in Zukunft gut sechsmal so viele Flächen für Windenergie ausweisen muss, wie bisher. Bis 2027 sind das 3.051 Hektar, bis Ende 2032 3.494 Hektar. Bisher sind im Regionalen Raumordnungsprogramm nur 558 Hektar als Vorranggebiete für Windenergie vorgesehen. Verglichen mit den Potentialflächen anderer Gemeinden (zum Beispiel Tostedt und Salzhausen) sind in Jesteburg nur sehr wenige Potentialflächen zu finden.
Eine gute Nachricht haben die Grünen aber auch im Gepäck: "Nach unserer Information plant der Landkreis die von ihm geforderte Ausweisung der Flächen an anderen Stellen im Landkreis und nicht in Jesteburg." Ob es der Landkreis zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen kann, wenn ein Antrag für Lüllau gestellt würde, könne aber nur der Landkreis beantworten.
Weitere Infos zur Windenergie-Potentialfläche in Lüllau:
Der ganze Brief der Grünen Jesteburg:
Liebe Mitglieder der Interessengruppe EEMV,
im Jesteburger Ortsteil Lüllau haben Sie sich als Initiative gebildet, die sich „Erneuerbare Energie mit Verstand“ nennt und sich mit möglicher Windenergie in Lüllau auseinandersetzt. Wir als Grüne in der Samtgemeinde Jesteburg begrüßen es ausdrücklich, dass sich Menschen engagieren und ihre Anliegen kommunizieren! Die Bevölkerung vor Ort muss mit einbezogen werden. Und wir Grünen meinen: Die Menschen vor Ort müssen auch am Gewinn möglicher Windenergieanlagen beteiligt werden. Wir freuen uns deshalb, mit Ihnen dazu ins Gespräch zu kommen. Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen gerne auf Ihre Mail vom 11. März antworten und auch gern einen persönlichen Austausch vorschlagen: Face-to-face spricht es sich noch besser, meinen wir.
Inhaltlich möchten wir wie folgt auf Ihr Schreiben antworten.
Zunächst haben Sie sich für einen Namen für Ihre Initiative entschieden, der auf den ersten Blick vermutlich auf große Zustimmung stößt: „Erneuerbare Energie“ ist angesichts der Klimakrise das Gebot der Stunde, um klimaschädliche fossile Energieträger zu ersetzen und die globale Erderwärmung einzudämmen. Und „mit Verstand“ – ja, bitte! Wer würde dazu Nein sagen?
In Ihrem Schreiben machen Sie deutlich, dass Sie sich Sorgen machen – um vom Bund geplante Flächenziele für den Ausbau von Windkraft und Zitat „gigantische Anlagen“ - und das ganz besonders bei Ihnen vor Ort, in Lüllau. Konkret benennen Sie eine vermeintlich starke Belastung von Natur und Mensch, fürchten eine Zerstörung des Landschaftsbilds, den Verlust des Erholungswerts und Lärmbelastung. In Ihrem Flyer sprechen Sie von der, Zitat: „Verwandlung wertvoller Landschaften und jahrhundertealte Dörfer in Industriegebiete“. Sie beschreiben Umweltzerstörung, Betriebslärm und ganz generell Zitat „enormen Schäden“. Zusammengefasst: Sie verbinden Windkraft vor Ort ausschließlich mit enorm negativen Auswirkungen.
An dieser Stelle möchten wir gerne auf einige Fakten hinweisen, auf Grundlage wissenschaftlich erhobener Daten, die ganz überwiegend gegen Ihre Befürchtungen sprechen. Richtig ist aber, dass Windenergieanlagen (WEA) ein Eingriff in die Natur sind: Mit ihrem metertiefen Fundament versiegeln sie den Boden, genau wie Straßen oder Gebäude. Allerdings wiegen sie den Schaden durch ihren enorm wichtigen Nutzen bei der Energiewende mehr als wieder auf.
1. Tatsächlich können die Rotorblätter Fledermäuse oder Vögel erschlagen. Allerdings gefährden moderne WKA deutlich weniger Fledermäuse und Vögel als alte Anlagen – weil sie inzwischen viel höher sind und häufig mit Sensoren und Kameras ausgerüstet sind. Im Vergleich zu anderen Gefahren ist das Risiko durch WEA für Vögel relativ gering (...). Die weitaus größte Gefahr für Vögel ist demnach die industrielle Landwirtschaft.
Umweltverbände fordern einen Ausbau der Windkraft für den Erfolg der Energiewende, und dieser Erfolg ist wesentlich für den langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt, so die deutschen Umweltverbände in einem Positionspapier von 2020 (https://www.germanwatch.org/de/17987).
2. Die Lärmbelastung moderner WEA fällt gering aus: Selbst bei sehr starkem Wind entspricht die Lautstärke in 250 Meter Entfernung 45 Dezibel. Das entspricht der Lautstärke eines rauschenden Waldes. In Niedersachsen ist ein Abstand zur Wohnbebauung von mindestens 2H (zweifache Höhe des Mastes bis zur Nabe) vorgeschrieben, dh i. d. R. mindestens 400 Meter.
3. In Deutschland haben Windenergieanlagen eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung: 80 Prozent halten den weiteren Ausbau von Windkraft an Land für "eher wichtig", wie eine Umfrage bereits von 2021 zeigt (https://www.windindustrie-indeutschland.de/publikationen/aktuell/umfrage-zur-akzeptanz-der-windenergie-an-landherbst-2021). Windanlagen in der eigenen Nachbarschaft finden 47 Prozent der Bürger in Deutschland eher gut oder sehr gut, einen Solarpark befürworten 62 Prozent, ein Atomkraftwerk jedoch nur fünf und ein Kohlekraftwerk vier Prozent.
Dabei soll eine gute Vorplanung Probleme für die Natur möglichst vermeiden, so sollten keine Anlagen in besonders wertvollen Naturschutzgebieten gebaut werden. Windkraftanlagen verändern zweifellos Landschaften. Die Türme werden immer höher, die Flügelspitzen der Rotoren erreichen bis zu 250 Meter in die Höhe. Doch das gilt auch für andere Bauten im Energiesystem: Für den Kohleabbau werden Dörfer abgerissen und Wälder abgeholzt, Schornsteine und Kühltürme von Kraftwerken ragen bis 200 Meter in die Höhe, Rauch und Wasserdampf steigen mehrere Kilometer hoch.
Wir meinen deshalb: Um unseren (fossilfreien) Energiebedarf zu decken, dürfen wir nicht nur auf andere zeigen und sagen „macht ihr das mal“. Auch wir in der Samtgemeinde sind gesamtgesellschaftlich gefordert, zum Gelingen der Energiewende mit beizutragen. In Ihrem Flyer schlagen Sie vor, mögliche Windkraftanlagen einfach an anderer Stelle im Landkreis Harburg anzusiedeln, Zitat „auf besser geeigneten Flächen“. Klingt das ein wenig nach ‚NIMBY‘, haben wir uns gefragt? Nimby bedeutet „not in my backyard“, auf Deutsch etwa „nicht hinter meinem Haus“. Mit diesem Argument könnten theoretisch fast alle Einwohnerinnen und Einwohner nicht nur in unserem Landkreis argumentieren, nach dem Motto „bei mir in der Nähe ist wertvolle Natur - baut die Windenergie dahin, wo sie mich nicht stört“.
Die Energiewende funktioniert jedoch dezentral, dh an vielen Tausend Orten, um den Energiebedarf aus Erneuerbaren vor Ort zu decken. Deshalb gilt es, möglichst viele Orte zumindest zu prüfen. Wenn dann wichtige Gründe dagegensprechen, müssen sie natürlich berücksichtigt werden. Eine besonders hohe Akzeptanz für WEA gibt es zudem, wenn Bürger vor Ort mitverdienen und selbst in die Anlagen investieren können, Stichwort ‚Bürgerenergiegesellschaft‘.
Wir als Samtgemeinde und Gemeinde Jesteburg können grundsätzlich nur einen geringen Einfluss auf eine WEA-Entscheidung vor Ort nehmen, da der Landkreis die Genehmigung erteilen muss. Nach unserer Information plant der Landkreis die von ihm geforderte Ausweisung der Flächen an anderen Stellen im Landkreis und nicht in Jesteburg. Ob es der Landkreis zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen kann, wenn ein solcher Antrag für Lüllau gestellt würde, kann nur der Landkreis beantworten.
Wichtig für uns Grüne ist der Dialog mit allen Beteiligten in unserer Samtgemeinde. Dabei gilt es nicht nur Pro und Contra abzuwägen, sondern auch uns auszutauschen und informiert zu halten. Wir finden es wichtig und richtig, dass Sie ihre Meinung äußern. Deshalb wünschen wir uns einen konstruktiven Dialog, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Wir freuen uns auf ein gemeinsames Gespräch!
Danke und viele freundliche Grüße,
für das Team der Grünen in der Samtgemeinde Jesteburg
Nathalie Boegel
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