Praxisschließung in Apensen
5.000 Patienten bald ohne Hausarzt
Jetzt trifft der Ärztemangel auch die Samtgemeinde Apensen: Die Praxis am Teich schließt Ende Januar 2023, ein Nachfolger ist nicht Sicht und viele Patienten stehen ohne Hausarzt da.
"Seit 15 Jahren warnen wir bereits vor dieser Situation", sagt Dr. med. Stephan Brune, Vorsitzender des Bezirksausschusses der Bezirksstelle Stade der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen. "Es gehen mehr Ärzte in Rente, als ausgebildet werden. Das Praxissterben auf dem Land war vorauszusehen." Apensen sei ein Sonderfall, weil die Ärzte nicht in Rente gehen, sondern aus betrieblichen und persönlichen Gründen, wie es auf der Internetseite der Praxis heißt, aufhören. Aber jetzt müssen 4.000 Patienten aus Apensen und 1.000 Patienten aus Beckdorf in einer ohnehin angespannten Lage versuchen, einen neuen Hausarzt zu finden, in einer Region mit Ärzten, die laut Brune ohnehin schon "überdurchschnittlich fleißig" seien, die also bereits überdurchschnittlich viele Patienten behandeln.
Gemeinsam mit dem Rat und der Verwaltung versucht Samtgemeinde-Bürgermeisterin Petra Beckmann-Frelock eine Lösung zu finden. "Noch können wir keine Antworten liefern, aber wir arbeiten mit Hochdruck daran", sagt sie. Mit den beiden weiteren niedergelassenen Ärzten in der Samtgemeinde habe sie bereits gesprochen. Doch die 5.000 Patienten aufzufangen, sei für die verbleibenden Ärzte unmöglich. Jetzt will die Samtgemeinde-Bürgermeisterin Kontakt zum Medizinischen Versorgungszentrum in Harsefeld (MVZ) aufnehmen. "Vielleicht ist es dem MVZ möglich, eine Außenstelle in Apensen einzurichten ", hofft Petra Beckmann-Frelock. Diese Idee sei nicht neu, doch sei eine Außenstelle aufgrund der bisherigen guten Ärzteversorgung in Apensen nicht notwendig gewesen. "Darauf, dass sich die Situation so schnell ändern würde, waren wir nicht vorbereitet", kritisiert Beckmann-Frelock. Wäre die Verwaltung eher informiert worden, dass die Praxisschließung geplant war, hätte sie auch früher tätig werden können. Doch in Richtung Verwaltung sei nichts kommuniziert worden.
Dr. Stephan Brune rät den Patienten der Praxis am Teich, ihre Patientenakten abzuholen und sich - gegebenenfalls auch in der Großstadt - auf die Suche nach einem neuen Hausarzt zu machen.
Sein Appell an die Politik ist, die Rahmenbedingungen für die Praxen zu verbessern. "Dringend notwendig ist, die bürokratischen Auflagen zu reduzieren, dann hätten die Ärzte mehr Zeit für die Patienten", so der Kardiologe und Sportmediziner.
Was Patrick Weinmann-Linne zur Praxisschließung sagt
"Die endgültige Entscheidung zur Praxisschließung haben wir am Montag, 5. Dezember, getroffen und Frau Beckmann-Frelock, sowie die Bürgermeister der Samtgemeinden unmittelbar informiert. Seit uns bekannt ist, dass unser angestellter Arzt ab 1. Januar 2023 eine eigene Praxis in Harsefeld betreiben wird, haben wir mit Hochdruck nach einer Nachfolge gesucht. Auch die zusätzliche ärztliche Weiterbildungsstelle, welche ab 1. Januar vakant ist, wurde bereits vor vielen Monaten ausgeschrieben. Die Resonanz darauf war dürftig, aber nicht völlig aussichtslos.
Letztlich haben diese ungewissen Umstände allerdings dazu geführt, dass sich drei tragende Mitarbeiterinnen nun kurzfristig dazu entschieden haben ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen, um unserem angestellten Arzt nach Harsefeld zu folgen. Aufgrund des Fachkräftemangels ist eine kurzfristige Nachbesetzung illusorisch und eine Aufrechterhaltung des Betriebs unmöglich.
Bereits in der Vergangenheit gab es trotz unseres überdurchschnittlichen Engagements für eine zeitnahe hochqualitative medizinische Versorgung und patientenzentrierten Service bei einem Teil unserer Patienten wenig Verständnis, wenn deren individuelle Wünsche nicht unverzüglich in ihrem Sinne erfüllt werden konnten. Aus diesem Umstand resultierten dann auch vereinzelt völlig haltlose, laienhafte und zum Teil verleumderische Beurteilungen unserer Arbeit in den sozialen Medien und im gesellschaftlichen Leben im ländlichen Bereich, vor denen ich auch meine Familie schützen muss.
Unter den genannten Umständen könnten wir unserem hohen Anspruch auf unbestimmte Zeit nicht mehr gerecht werden, ohne uns persönlich völlig aufzuopfern. Bereits unser bisheriges Engagement hat uns über jegliches menschlich erträgliches Maß einiges abverlangt.
Unseren Patienten möchte ich dabei überhaupt keinen Vorwurf machen, da diese nicht zu erfüllende Anspruchshaltung in Form unbegrenzter Leistungsversprechen aus der Gesundheitspolitik und durch die Kostenträger immerzu weiter geschürt wird.
Das perfide Spiel dabei ist allerdings, dass wir als Leistungserbringer - ohne gefragt zu werden - von heute auf morgen und zum Teil sogar rückwirkend stetig neue Rahmenbedingungen für unsere Tätigkeit aufoktroyiert bekommen und damit dazu genötigt werden sämtliche Prozesse und Dienstleistungen im Eiltempo neu zu gestalten.
Die Sachbearbeiter der Kostenträger versprechen den Patienten auf Nachfrage stets das Blaue vom Himmel - es bedürfe nur einer ärztlichen Verordnung und die Kasse übernehme alle Kosten. Bis zu zwei Jahren rückwirkend werden wir dann allerdings in Haftung genommen und müssen z.B. Medikamentenverordnungen und Laborleistungen für Patienten aus eigener Tasche bezahlen. Jüngst wurden sicher geglaubte Leistungen aus der hausarztzentrierten Versorgung nachträglich kurzerhand um rund 17 Prozent gekürzt. Leistungen aus dem Terminservicegesetz gänzlich gestrichen.
Der GKV-Spitzenverband sieht trotz der erheblichen Ausgabensteigerung bei Personal- und Energiekosten keinen Spielraum für jegliche Honoraranpassungen im ambulanten Bereich in den kommenden beiden Jahren.
Die Gebührenordnung für Privatpatienten wurde inzwischen seit rund 30 Jahren (!!!) nicht angepasst.
Diese Umstände treiben fortwährend einen Keil zwischen langjährig etablierte und vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnisse.
Die jetzige Situation bedauern wir außerordentlich, aber sehen unter den genannten Rahmenbedingungen keine Möglichkeit den Praxisbetrieb aufrecht zu erhalten.
An diese Stelle möchten wir uns gerne bei den sehr engagierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Kassenärztlichen Vereinigung Stade, unseren eigenen treuen und loyalen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, den Kameraden und Kameradinnen der Feuerwehr Apensen und des Rettungsdienstes, sowie nicht zuletzt bei unseren Patienten und Patientinnen bedanken, welche dieses Engagement stets gewürdigt haben und zu schätzen wussten."
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