Anklage wegen Brandstiftung
Flüchtling: Prozess statt psychiatrische Hilfe
sv. Buxtehude. Schwere Brandstiftung mit Gefährdung anderer Menschenleben und eine mögliche Höchststrafe von 15 Jahren - die Anklageschrift klingt dramatisch, als der Richter sie der 25-jährigen irakischen Mutter A. (Name der Redaktion bekannt) diese Woche im Buxtehuder Amtsgericht vorliest. Ihr wird vorgeworfen, vor zwei Jahren, im Februar 2020, eine Decke angezündet zu haben, auf der ihre beiden Kinder im Alter von vier Monaten und fünf Jahren lagen.
Zwei Stunden nach dem Vorfall hatte der Ehemann die Notrufnummer gewählt.
Nach ihrer "psychischen Ausnahmesituation", wie der Richter es später nennen wird, war sie ruhig, als die Polizei sie in jener Nacht in der Wohnung aufsuchte. "Verzweifelt und weinerlich, aber nicht aggressiv", beschreibt eine Polizistin ihren damaligen Gemütszustand im Zeugenstand.
2018 war A. mit ihrem ersten Kind und ihrem Mann aus dem Irak nach Deutschland gefolgt. Er war als Polizist im Irak nicht mehr sicher gewesen. Doch während ihr Mann sich in Deutschland schnell einlebte und die Sprache lernte, vereinsamte A.. Sie bekam ein zweites Kind, sprach kaum Deutsch und fühlte sich isoliert.
In einer Februarnacht 2020 war sie schließlich mental so am Ende, dass sie, in eine Decke gewickelt, drohte, sich selbst anzuzünden und umzubringen, wenn sie nicht in den Irak zurückkehren würden.
Als ihr Mann sie nicht beruhigen konnte, rief er nach zwei Stunden schließlich den Notruf. "Ich hatte zuerst das Krankenhaus angerufen, weil es meiner Frau nicht gut ging und ich mir nicht zu helfen wusste. Aber die sagten, sie kommen nicht, solange meine Frau noch laufen kann", sagt er. Über den Notruf landete er erst bei der Feuerwehr, dann bei der Polizei. Bei ihrem Eintreffen in der Wohnung kommunizierten zwei Polizistinnen dann mit A. über eine Übersetzerin am Hilfetelefon. Zwei weitere Polizisten sprachen mit dem Mann und notierten seine Schilderungen von einem Brand, auf deren Grundlage später die Anklage wegen schwerer Brandstiftung erhoben werden sollte.
"Ich wollte Hilfe", sagt der Mann der Angeklagten im Gericht über einen Dolmetscher. Im Gegensatz zu seiner Frau spricht er inzwischen ein gut verständliches Deutsch, aber für seine Aussage geht er nicht das Risiko weiterer Übersetzungsfehler ein. "Ich wollte keinen Prozess."
Am Ende wird A. von allen Anklagepunkten freigesprochen. Denn wie sich vor Gericht herausstellt, handelte es sich bei dem "Brand" um ein Stück angesengte Decke. Die beiden Kinder waren zu diesem Zeitpunkt nicht einmal im Raum. Die suizidalen Absichten ihrer Mutter sollten niemandem schaden außer ihr selbst, resümiert der Richter, sie habe sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden.
Heute, zwei Jahre nach dem Vorfall, will A. auch nicht mehr in den Irak zurück. Ihre Kinder sind in der Schule und im Kindergarten. Sie arbeitet, lernt durch ihren Beruf langsam Deutsch und ist zufrieden mit ihrem Leben.
Der Landkreis braucht einen Sozialpsychiatrischen Notdienst
A. und ihr Mann hätten in der Februarnacht 2020 keine Polizei gebraucht, sondern einen Sozialpsychiatrischen Notdienst und einen fähigen Übersetzer. Dass die Situation noch schlimmer hätte enden können, zeigen zwei Fälle in den vergangenen drei Jahren im Landkreis Stade. In Bützfleth und Harsefeld waren zwei Flüchtlinge im "psychologischen Ausnahmezustand" gewalttätig geworden und von der Polizei erschossen worden. Während der Flüchtling in Bützfleth nachweislich in Notwehr erschossen wurde, laufen die Ermittlungen noch im Fall Harsefeld. Immer wieder wird nach diesen Todesfällen diskutiert, ob die Polizei ausreichend genug geschult ist im Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen.
Auch dieser Prozess mit der jungen Mutter wirft so einige Fragen auf. Wie kann ein Suizidversuch als schwere Brandstiftung vor dem Gericht landen? Warum musste es in diesem Fall überhaupt einen Prozess geben? Wieder einmal zeigt sich, dass im Landkreis Stade zweifelsfrei dringender Bedarf an einem Sozialpsychiatrischen Notdienst besteht, der wie Feuerwehr und Polizei rundum die Uhr erreichbar ist.
Svenja Adamski
Redakteur:Svenja Adamski aus Buchholz |
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