Was sind Ihre Erfahrungen?
Hasskommentare im Internet: Hohe Dunkelziffer

Ein Klick und die Hassbotschaft ist auf dem Weg | Foto: adobe stock/momius
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  • Ein Klick und die Hassbotschaft ist auf dem Weg
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(tk). Mit einem Aktionstag sind Polizeibehörden in ganz Deutschland kürzlich gegen Hasskriminalität und Bedrohung im Internet vorgegangen. 90 Einsätze hat es bundesweit gegeben, davon vier Durchsuchungen in Niedersachsen. Das hat aber mehr Symbolcharakter, um auf das Problem von Hass und Bedrohung im Netz aufmerksam zu machen. Denn: Das Dunkelfeld ist um ein Vielfaches höher als die tatsächlich angezeigten Fälle. 2020 hat die Polizei 2.607 strafbare Hasspostings in Deutschland erfasst.

Viele Betroffene erstatten keine Anzeige und halten den Hass aus oder gehen den Konflikten möglichst aus dem Weg. Hinzu kommt: Was bei Adressaten von Hatespeech auf den ersten Blick zu Recht wie Beleidigung, Volksverhetzung oder gar Bedrohung aussieht, ist juristisch in vielen Fällen nicht strafbar. Die Meinungsfreiheit deckt gerade bei politischen Auseinandersetzungen vieles ab, was gefühlt eine strafbare Handlung wäre. Das WOCHENBLATT hat bei Menschen in den Landkreisen Stade und Harburg nachgefragt, die durch ihren Job oder durch Engagement in der Öffentlichkeit stehen. Außerdem erklärt Oberstaatsanwalt Johannes Kier von der Staatsanwaltschaft Stade, warum Volksverhetzung oft eine juristische Gradwanderung ist.

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Das WOCHENBLATT hatte auch in der Buxtehuder Stadtverwaltung nachgefragt. Unangemessene Kommentare kommen durchaus vor, seien aber derzeit kein Riesenproblem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Interessante Antwort aus dem Fachbereich Sicherheit und Ordnung: Wenn mit den Wütenden persönlich gesprochen werde, beruhigen sie sich meist schnell wieder.
Künftig ohne Kommentare

(sla). Oberstufenleiter Hanke Blendermann hat wegen der Corona-Regeln einige "sehr unschöne Mails" in der IGS erhalten. Da hier die Absender sichtbar sind, hält sich die Zahl in Grenzen, vermutet Blendermann. Anders beim YouTube-Video der Schule - in der Kommentarspalte wurde es richtig beleidigend. Auch anonyme Google-Schulbewertungen seien selten konstruktiv. Die IGS will dennoch wieder ein Video veröffentlichen - allerdings mit deaktivierter Kommentarspalte. Auch als Musiker der Gruppe "Reis against the Spülmachine" kennt Blendermann Hass-Botschaften von Fans - etwa zum Auftritt beim Werner-Festival, weil dort auch die rechtsgerichtete Band "Böhse Onkelz" auftrat.

Dr. Dunja Sabra | Foto: Sabra
  • Dr. Dunja Sabra
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Dr. Dunja Sabra setzt sich seit vielen Jahren im Landkreis Stade und darüber hinaus für die Integration von Geflüchteten ein und kämpft gegen Rassismus und Ausgrenzung. Eine Hasskampagne habe sie glücklicherweise noch nicht erlebt. Wohl auch deshalb nicht, weil sie sich online zurückzieht, wenn eine Diskussion aus dem Ruder zu laufen droht.
Was sie aber festgestellt hat: "Die Gegenseite ist gut organisiert." Wenn sie mit einer Person im Netz kontrovers über Integration und andere Themen diskutiere, seien schnell 15 weitere Personen mit dabei, die natürlich das Gegenteil ihrer Sicht vertreten.
Wir wissen, wo du wohnst

Ulrich Felgentreu | Foto: tk
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Ulrich Felgentreu ist Ratsherr der Grünen in Buxtehude und Sprecher der BI gegen den Ausbau der Rübker Straße zum A26-Zubringer. "Die Anfeindungen waren teilweise heftig", sagt er. "Geh zurück in den Osten, wo Du herkommst", sei noch eine nette Variante gewesen. Ein Hater schrieb, dass man wisse, wo er wohne und man ja hupend vorbeifahren könne. "Oder ganz andere Dinge machen", so die unverhohlene Drohung.
"Ich habe schon überlegt, Anzeige zu erstatten", sagt Ulrich Felgentreu. Er hat es aber gelassen. "Ich will mich nicht mehr über solche Dinge aufregen.

Was sind Ihre Erfahrungen? Haben Sie Hass im Internet erlebt? Schreiben Sie an thomas.kreib@kreiszeitung.net. 


(tk).
Der Stader Oberstaatsanwalt Johannes Kier bekommt die Anzeigen auf den Tisch, die sich mit Beleidigung und Hasskriminalität beschäftigen. "Volksverhetzung ist ein verzwickter Straftatbestand", sagt der Jurist. In Paragraf 130 des Strafgesetzbuches ist festgehalten, was genau das ist. In der Abwägung bei der Strafverfolgung gebe es jedoch viele Dinge, die in eine Betrachtung einfließen. Wie öffentlichkeitswirksam ist das angezeigte Delikt? Ist ein einziger Post im Internet schon ausreichend? Und: Wie können zum Beispiel geschlossene Kommunikationskanäle auf Telegram bewertet werden, wenn dort Dritte attackiert werden? Hinzu kommt laut Johannes Kiers das "Spannungsfeld der Meinungsfreiheit". Die sei ein besonders hohes Gut. Es gebe einige Grundsatzurteile, dass gerade in politischen Auseinandersetzungen mit gewisser Schärfe und Überzeichnung gearbeitet werden dürfe.

Allerdings sei angesichts von Hasskriminalität im Internet eine Veränderung zu beobachten. So gebe es in Niedersachsen jetzt eine Zentralstelle für Hasskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Göttingen. Und auch die Urteile einzelner Gerichte würden mitunter anders ausfallen. In Bayern wurde jüngst ein AfD-Politiker verurteilt, der sich mit einem sogenannten Judenstern als Opfer der Corona-Politik darstellen wolle. "Volksverhetzung", lautete das Urteil.

Ein Klick und die Hassbotschaft ist auf dem Weg | Foto: adobe stock/momius
Symbolbild: So ein Satz ist eine Drohung | Foto: tk
Ulrich Felgentreu | Foto: tk
Dr. Dunja Sabra | Foto: Sabra

4 Kommentare

Leserreporter
Andreas Mensing aus Stade
am 13.12.2021 um 20:56

Wenn man auf so eine Gruppe wie "Freie Sachsen" geht um für Impfen zu werben wird man schnell angefeindet. Nun ja, ist einem dann ja bewusst. Also egal. Außerdem wird man auch schnell geblockt wenn man etwas zu aufdringlich für Impfen wirbt. Egal wie freundlich man bleibt.

Leserreporter
Andreas Mensing aus Stade
am 14.12.2021 um 00:54
Kommentar wurde am 14. Dezember 2021 um 00:58 editiert

Es ist gar nicht so einfach gegen Hass im Internet vorzugehen. Ich habe bei Facebook versucht eine Meldung zu machen, würde abgelehnt und um weitere Stellungnahme gebeten und wieder abgelehnt. Hier der Text und Sachverhalt. 

Post auf Facebook Freie Sachsen

Karl Schreiner
Ob sich die SA Schergen daran halten werden?
 
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben Ihre Beschwerde vom 13/12/2021, noch einmal geprüft. Sie betraf folgenden Inhalt: https://www.facebook.com/freie.sachsen/posts/463712632007484?comment_id=463769082001839
Es ist für uns jedoch immer noch nicht ersichtlich, dass der von Ihnen gemeldete Inhalt rechtswidrig ist. Deshalb sind wir zurzeit nicht in der Lage, Maßnahmen bezüglich Ihrer Beschwerde zu ergreifen. Mit freundlichen Grüßen Facebook >On Mon Dec 13, 2021 15:18:36, original message wrote: >Hallo Andreas, >vielen Dank, dass Sie uns kontaktiert haben. Wir prüfen zurzeit Ihre Gegenvorstellung und werden Ihnen in Kürze antworten. >Für Referenzzwecke: Ihre Beschwerdenummer lautet: Nr.335840965034716 >Um weitere Informationen zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz („NetzDG“) zu erhalten oder wenn Sie andere Fragen zu Facebook haben, besuchen Sie bitte den Hilfebereich: >https://www.facebook.com/help/285230728652028?ref=cr >Mit freundlichen Grüßen >Das Facebook-Team >Name (Vor- und Nachname) : Andreas Mensing >E-Mail-Adresse : xxxxxxxxg@hotmail.de >Betreffender Inhalt (URL) : https://www.facebook.com/freie.sachsen/posts/463712632007484?comment_id=463769082001839 >Was ist der Grund für Ihre Gegenvorstellung? : I think Facebook misunderstood the intent or context of this content >Geben Sie bitte Details an (optional) : Polizisten als National Sozialische NS Mitarbeiter zu beschimpfen ist definitiv eine starke Beleidigung. Beispiel Definition: Hitlers SA-Schergen bedrohten und misshandelten Andersdenkende. Davon kann keine Rede von unsere Polizisten sein und nur als übelste Beleidigung aufgefasst werden. >Parent Report ID : 452458833114648 >

Leserreporter
Dr. Henning Kaiser aus Winsen
am 14.12.2021 um 02:21

Hasskommentare signalisieren verbal den gleichen erschreckenden Mangel an Empathie, wie er leider auch physische Auseinandersetzungen - nicht selten sogar bereits im Schulkind-Alter - zunehmend kennzeichnet. Auf diesem Weg entlädt sich eine (vielfach aufgestaute) Wut, die ihren realen Ursprung ganz überwiegend in einem Gefühl grenzenloser Ohnmacht gegenüber als widrig empfundenen, scheinbar ausweglosen Lebensumständen hat. Im Grunde sind Hasskommentare damit Ausdruck einer tiefen Verzweiflung - was es für die Opfer allerdings keineswegs besser macht. In der aktuellen Debatte zur Rolle und Funktion der sozialen Medien geht es "hinter dem Spiegel" rhetorischer Taschenspielertricks der Politik allerdings gar nicht in erster Linie um diese Form eines Verfalls der Umgangskultur sondern sehr viel mehr um die ganz reale Angst vor dem Verlust der Kontrolle über gesellschaftlich relevante Informationen und deren Verbreitung. In einer Zeit, in der mit aller zur Verfügung stehenden medialen Macht das "Leit-Narrativ" der politischen Entscheidungsträger aufrecht- und durchgehalten werden muss, stellt der vermeintliche Wildwuchs sog. Verschwörungstheorien eine eminente Gefahr für die Durchsetzbarkeit der politischen Ziele dar. In Printmedien und TV wurden in jüngster Zeit zahlreiche Versuche unternommen, mit Hilfe ausgewiesener Experten die psychologischen Ursachen für das verstärkte Aufkommen von "Verschwörungstheorien" akademisch fundiert zu
ergründen. Nur blieben die dazu gelieferten Erklärungen meist wenig überzeugend, weil sie - methodisch leider völlig unwissenschaftlich - stets von der Prämisse ausgingen, dass Verschwörungstheorien selbstverständlich grundsätzlich und immer nur unzutreffende Phantasiegebilde darstellen. Die Realität spricht allerdings offenbar eine ganz andere Sprache. Skepsis besorgter Bürger gegenüber solchen amtlichen Statements wie "die Epidemie ist beendet, wenn allen Bürgern ein Impfangebot gemacht werden kann" (Merkel, Spahn) und "ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass es in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben wird" (Spahn) die noch vor nicht allzu langer Zeit als Verschwörungstheorie stigmatisiert wurde, ist inzwischen, für jeden ersichtlich, von der nüchternen Wirklichkeit eingeholt worden - und die Liste solcher Infamitäten lässt sich locker noch um Einiges fortsetzen. Man kann es ganz einfach auf den Punkt bringen: Den Menschen in diesem Land wird von der Politik in unfassbarem Ausmaß "die Hucke vollgelogen", und das geht, mindestens auf der unterbewussten Ebene, definitiv nicht spurlos an ihnen vorüber. Ich bin davon überzeugt, dass es keine einzige "Verschwörungstheorie" gäbe, wenn die Gesellschaft sich sicher sein könnte, dass sie es tatsächlich mit anständigen, ehrlichen und verantwortungsbewussten Mandatsträgern (ohne Lobby-Marionetten) zu tun hat, die ihr Vertrauen wirklich wert sind und deren Wort im Zweifelsfall mehr als nur heiße Luft hergibt. Und dann wären wir auch ganz schnell an dem Punkt, dass die derzeitige gezielte Verbreitung und Aufrechterhaltung eines massiven kollektiven Angstklimas (nicht nur) durch die Politik ganz entscheidend zur einem gesellschaftlichen Spannungsaufbau führt, der sich absolut folgerichtig z.T. eben auch in einer beängstigenden Hass-Dialektik in den sozialen Medien ventiliert. Angst ergibt unter diesen Umständen überhaupt nur einen rationalen Sinn: Sie verspricht die bei Weitem sicherste Möglichkeit, Menschen in großem Maßstab ausgesprochen effektiv manipulieren zu können.