Grundsteuer-Urteil: Folgen sind nicht abzusehen
Bundesverfassungsgericht kippt Regelungen zur Grundsteuer / Reaktionen in den Rathäusern
(bc/ce). Das Urteil ist keine Mega-Überraschung und doch ist es eingeschlagen wie eine Bombe. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Regelungen zur Grundsteuer gekippt. Viele Hausbesitzer und Mieter sind verunsichert. Städte und Gemeinden sorgen sich um Einnahmen. Das WOCHENBLATT hat sich umgehört: Wie fallen die Reaktionen in den Rathäusern aus? Fazit: relativ gelassen.
Zur Erklärung: Das Gericht hat am Dienstag geurteilt, dass die Einheitswerte nicht mehr als Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer verwendet werden dürfen, weil dies dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung widerspricht. Die Einheitswerte beruhen auf den Wertverhältnissen aus dem Jahr 1964 (alte Bundesländer) und aus dem Jahr 1935 in den neuen Bundesländern. Seitdem haben sich die Wertverhältnisse in den einzelnen Regionen Deutschlands aber unterschiedlich entwickelt. Die etwa 35 Millionen Grundstücke in Deutschland müssten jetzt neu bewertet werden.
• Stades Bürgermeisterin Silvia Nieber kommentiert das Urteil entspannt: "Die Grundsteuer stellt mit prognostizierten 8,4 Millionen Euro im Jahr 2018 eine der wesentlichen Einnahmequellen der Hansestadt Stade dar. Insofern ist das Urteil von enormer Bedeutung für den kommunalen Haushalt. Die geforderte Neuregelung der Berechnungsmethodik liegt allerdings nicht in der Verantwortung Stades sondern beim Bundesgesetzgeber. Nach der ersten Stellungnahme des Bundesfinanzministers Olaf Scholz soll es durch die Neuregelungen nicht zu Steuererhöhungen für Grundeigentümer und Mieter kommen."
• Ralf Dessel, Fachbereichsleiter Finanzen im Buxtehuder Rathaus, hält die Entscheidung in Karlsruhe für absolut nachvollziehbar: "Der Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 im Grundgesetz bei der bisherigen Einheitswertberechnung hat sich geradezu aufgedrängt." Positiv sei, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die finanziellen Auswirkungen auf die Kommunen im Blick gehabt habe und dem Gesetzgeber mit den Fristen zur Neuregelung der bisherigen Vorschriften bis 2024, sofern eine entsprechende Neuregelung bis Ende 2019 vorliegt, Zeit für die Neugestaltung gegeben hat.
Zu den Auswirkungen lasse sich gegenwärtig nur wenig sagen: "Das hängt von der Ausgestaltung der neuen rechtlichen Vorschriften ab. Unterschiedliche Modelle werden aktuell diskutiert", so Dessel. Da aber bisher in allen Diskussionen zu dem Thema zwischen Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden überwiegend Einigkeit bestanden hat, dass sich das Gesamtsteueraufkommen aus der Grundsteuer A und B nicht wesentlich verändern soll, geht Dessel davon aus, dass möglicherweise die Hebesätze der Kommunen nach unten korrigiert werden müssen.
• Rainer Schlichtmann, Samtgemeinde-Bürgermeister in Harsefeld, verfolgt mit Interesse, wie es jetzt weitergeht: "Das Land ist nun am Zug." Es werde spannend zu beobachten sein, wie die Neubewertungen aussehen werden, ohne jedes Grundstück "anfassen" zu müssen. Ziel müsse es sein, dass es zu keinen wesentlichen Mehraufwendungen in den kommunalen Verwaltungen sowie bei Eigentümern und Mietern kommt. Alles weitere sei zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation, da noch keine Urteilsbegründung vorliege.
• Matthias Parchatka, Kämmerer der Stadt Winsen, meint dazu: "Es zeichnete sich schon ab, dass das Gericht so bei der Grundsteuer entscheiden würde. Die Bewertung der Grundstücke erfolgt durch das Finanzamt. Auf dieser Bemessungsgrundlage erhalten wir die Steuerbescheide, die wir an die Bürger weitergeben. Welche konkreten Konsequenzen der Richterspruch für die Grundsteuer-Abgaben in Winsen hat, ist noch nicht absehbar. Darüber muss auch die Politik noch beraten."
• "Wir warten jetzt auf die Neugestaltung und sind vor allem darauf gespannt, durch wen die Grundstücksbewertung erfolgt - die Finanzämter oder die Kommunen", erklärt Buchholz' Pressesprecher Heinrich Helms. Die Verwaltung begrüße, dass die Neuregelung aufkommensneutral erfolgt, auch wenn das für einige Brüger höhere Zahlungen bedeute. Hilfreich sei, dass künftig auch ungenutzte, aber baureife Grundstücke in die Bewertung einbezogen werden sollen, so Helms.
"Betriebe nicht höher belasten"
(bc). „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt für uns nicht unerwartet“, so Dr. Horst Schrage, Hauptgeschäftsführer der IHK Niedersachsen (IHKN). Eine längst überfällige Reform der Grundsteuer müsse die Erhebung vereinfachen und den Investitionsstandort Niedersachsen stärken. Eine aufkommensneutrale Neugestaltung sei ein auf den ersten Blick unterstützenswertes Ziel. Allerdings werde es nach allen bereits bekannten Modellen Gewinner und Verlierer einer Reform geben. Die gewerbliche Wirtschaft sehe sich bereits einer im internationalen Vergleich recht hohen Gesamtsteuerbelastung ausgesetzt. Hier müsse mit Augenmaß gehandelt werden, so Schrage. Steuererhöhungen für die standortgebundenen Betriebe seien strikt abzulehnen.
Redakteur:Björn Carstens aus Buxtehude |
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